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Containersiedlungen sindnicht die Lösung

Diskurs
Containersiedlungen sindnicht die Lösung

Containersiedlungen sindnicht die Lösung
»Heimat2«, eine Initiative von GRAFT Architekten, COMTERRA Care und LEPI Ventures und synergy productions
Am 9. März hat das Bundeskabinett den »Bericht zum Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen und zur Wohnungsbau-Offensive« beschlossen. Wieder einmal

geht es um die Vereinfachung des Baugesetzbuchs, eine Forderung so alt wie das BauGB selbst. So zahnlos wie die Initiative liest sich der Text: »Erörterung von Änderungsvorschlägen zur Überarbeitung der Musterbauordnung mit den zuständigen Ländergremien«, denn das BMUB kann nur Empfehlungen geben, zuständig sind die Länder. Und so bleibt es bei 16 Landesbauordnungen für ein und dieselbe Angelegenheit. »Die Länder haben eine Überprüfung des Bauordnungsrechts auf ein etwaiges Vereinfachungs- und Beschleunigungspotenzial vereinbart«. Das tun sie schon sehr lange.

Derzeit hat das Nachdenken über die hinderlichen Vorschriftenwerke allerdings eine neue Dringlichkeit erlangt. Es ist zur allgemeinen Gewissheit geworden, dass man den sprunghaft gestiegenen Bedarf an Wohnraum nicht durch konventionelles Bauen unter regionalen und kommunalen Mikrobedingungen decken kann. Von modularem, systematischen, vorgefertigten Bauen ist jetzt überall die Rede. Uneinheitliche Standards und Vorschriften sind jedoch der Erzfeind jeglichen Systembaus. Will ein Anbieter ein Bausystem in mehreren oder allen Bundesländern anbieten, um den Vorteil serieller Herstellung in größeren Stückzahlen nutzen zu können, muss das System flexibel an alle unterschiedlichen Standards anpassbar sein – was es wiederum komplizierter macht und verteuert. Denn es ist natürlich von großer Relevanz, ob pro Bewohner 6 m² Wohnfläche, mit »Ausnahmegenehmigung« nur 4,5 m² in Brandenburg oder 7 m² in Bayern anzubieten sind. Ähnlich verhält es sich mit den Energiekennwerten, mit Brand- und Schallschutzstandards.
Doch nun muss alles ganz schnell gehen mit den preisgünstigen Wohnungen. Genehmigungsverfahren sollen beschleunigt werden. Wohnraumförderung soll vervielfacht, Steuererleichterungen eingeführt werden. Die Energieeinsparverordnung, Lärm- und Brandschutz sollen ihren Absolutheitsanspruch verlieren, zumindest für temporäre Unterkünfte, also v. a. für Containersiedlungen, worin viele Kommunen nun das Heil suchen. Das sind natürlich nur »Unterkünfte«, rasch herbeigebrachte Behausungen, knapp dem Präfix »Not-« entkommen, die keinen Anspruch auf architektonische Qualitäten haben. Der Boom hat böse Folgen und hat bereits die Preise für Stahlcontainer in die Höhe getrieben. Und viele Menschen treibt die Sorge um, dass die Provisorien weitaus länger als die geplanten drei Jahre stehen bleiben werden.
Angesichts der derzeitigen Probleme die Errungenschaften unserer Baustandards herabzuschrauben, ist ebenso unsinnig und unnötig wie die Aufgabe unserer gesellschaftlichen Werte. Die Entstehung baulicher Ghettos ist ebenso inakzeptabel wie die Entstehung von Parallelgesellschaften mit Scharia-Ordnung. Zur Integration gehört nicht nur der Spracherwerb, sondern auch die »normale« Wohnsituation.
Warum also nicht gleich vollwertig bauen? Heimat2 nennt sich z. B. eine Initiative, zu der sich GRAFT Architekten, der Projektentwickler COMTERRA Care, LEPI Ventures und synergy productions zusammengefunden haben, um »lebenswerte Wohndörfer mit Modellcharakter zu bauen, die architektonisch ansprechend und sozial integrativ sind«. Und zwar zügig, in fünf bis acht Monaten, und preiswert. 1 510 Euro brutto sollen die Häuser pro Quadratmeter (ohne Grundstück) kosten, nachhaltige, nutzungsflexible und langlebige Häuser mit 80 Jahren Standzeit. Das ist sogar günstiger als der momentane Preis für provisorische Containersiedlungen.
Einen Basispreis von 1 400 Euro pro Quadratmeter für Wohnungen aus mehreren Modulen verspricht auch der Solararchitekt Rolf Disch aus Freiburg. Sein Plusenergiehaus-Modulsystem geht gerade für eine Wohnsiedlung in Freiburg in Produktion. Mit den vielfältig kombinierbaren Wohnmodulen lässt sich ansprechende Architektur ohne Containerlook gestalten. Sie sind klimaneutral aus Massivholz gebaut, bieten ein gesundes Raumklima, guten Schallschutz, übererfüllen alle einschlägigen KfW-Standards, erzeugen mehr Energie als sie verbrauchen und versprechen niedrige Nebenkosten. Sie können später leicht umgenutzt werden, beispielsweise als Studentenwohnungen, und man kann sie an andere Orte versetzen.
Was Heimat2 zusätzlich auszeichnet, ist die Bündelung unterschiedlicher Kompetenzen, ist der ganzheitliche planerische, organisatorische, soziale und wirtschaftliche Ansatz, sowohl in der umfänglichen Fürsorge für die Bewohner, als auch im politischen Management. Heimat2 entwickelt eine spezifische Verwaltungssoftware und kümmert sich um Integrationsförderung, die Vernetzung zu IHK und Jobcentern etc. Andererseits wird den Bewohnern eine Software mit Echtzeit-Übersetzungstools, Sprachkursen für Kinder, Info-Datenbank, virtuellem Büro u. a. zur Verfügung gestellt, damit sie sich leichter selbst organisieren können.
Vielleicht kann man mit einer schlagkräftigen und kompetenten Truppe gegen die zahlreichen Akteure und den Verwaltungsdschungel Wesentliches ausrichten und den Flüchtlingen wirklich rasch vernünftige Lebensverhältnisse schaffen.
{Der Autor ist apl. Professor für Architekturtheorie und lebt als Publizist und freier Architekturkritiker in Berlin.
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