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»beschleunigtes Verfahren« beschleunigt Flächenverbrauch

»beschleunigtes Verfahren« beschleunigt Flächenverbrauch
Nach der Diät ist vor der Diät

Nach der Diät ist vor der Diät
Neubaugebiet Bretzfeld-Bitzfeld Luftbild: Manfred Grohe

Das »beschleunigte Verfahren« nach § 13b BauGB beschleunigt den Flächenverbrauch.

Wir haben nur noch bis 2020 Zeit. Dann soll der Flächenverbrauch in der Bundesrepublik bei 30 ha pro Tag liegen. Tatsächlich ist er seit 1997 zurückgegangen: von 129 ha in der Zeit zwischen 1997 und 2000 auf 66 ha zwischen 2012 und 2015 – wohlgemerkt am Tag. Bis 2020 muss dieser Wert also nochmals halbiert werden, was angesichts des Zwischenerfolgs nicht so schwierig erscheinen mag. Aber es könnte sich auch der Effekt einstellen, der vom Abnehmen bekannt ist: Die ersten Kilos sind die einfachsten. Zumal man angesichts des Anfangserfolgs dazu neigen könnte, nachlässig zu werden. Genau das passiert auch in der Politik. Wie hatte man das neue »urbane Gebiet« beklatscht, die neue Kategorie im Baugesetzbuch, die das Nebeneinander von Gewerbe und Wohnen erleichtern soll. Manche meinten, dass dies die vielleicht wesentlichste Novellierung des 1960 in Kraft getretenen Baugesetzbuchs sei. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn im politischen Kuhhandel über das urbane Gebiet wurde nun eine Neuregelung eingeführt, die all den Lippenbekenntnissen zur Verdichtung und zum sparsamen Umgang mit der nicht vermehrbaren Ressource Boden Hohn spricht. Gemeinden dürfen jetzt, zumindest bis 2019, neue Baugebiete von bis zu einem Hektar im sogenannten beschleunigten Verfahren ausweisen, das heißt, ohne Umweltverträglichkeitsprüfung. So steht es jetzt im Paragrafen 13b des Baugesetzbuchs. V. a. Bayern hatte für diese Ausnahmeregelung gekämpft, angeblich, um den Druck auf den Wohnungsmarkt in den Ballungsräumen zu mildern. Das darf glauben, wer naiv genug ist. Und warum wurden dann die Einwände von Planer-, Architekten- und Umweltverbänden ebenso wie die des Deutschen Instituts für Urbanistik ignoriert? Warum ließ man sich nicht darauf ein, die Ausnahmeregelung nur dort zuzulassen, wo ausreichender Wohnraum über die bestehenden Möglichkeiten der Innenentwicklung nachweislich nicht geschaffen werden kann, wie es immerhin auch der Eigentümerverband Haus & Grund gefordert hatte?

Ganz einfach: weil man damit die Klientel der Bürgermeister von kleineren Ortschaften, in denen die CSU besonders stark verwurzelt ist, bedient. Die wissen ganz genau: Innenentwicklung ist harte Arbeit. Komplizierte Eigentümerstrukturen, unzeitgemäße und heruntergekommene Altbestände, belastender Durchgangsverkehr, ungünstige Grundstückszuschnitte – ohne eine intensive Unterstützung durch die Gemeinde funktioniert Innenentwicklung nicht. Mehr noch: Die Kommunen sind oftmals damit überfordert, diese Arbeit zu leisten, sowohl was die personelle Ausstattung als auch was das Instrumentarium angeht. Neues Bauland auszuweisen ist einfacher, weil man sich nicht mit Hauseigentümern auseinandersetzen muss. Die Wirkung ist überall im Land in den Ortschaften zu beobachten, ganz gleich ob es sich um reiche oder arme Kommunen handelt. Die Bundesstiftung Baukultur spricht von einem Donut-Effekt: in den Ortsmitten stehen Häuser leer, um die Kerne legt sich der Ring der Einfamilienhaus- und Gewerbegebiete.

Diese Eigengesetzlichkeit kann keine Gemeinde außer Kraft setzen. Und damit sind wir wieder bei der großen Politik. Denn dem Flächenverbrauch begegnet man nicht, indem man mal hier, mal dort das Bauen verbietet. Es bedarf einer breit angelegten Kombination aus Instrumenten, die den Ausgleich zwischen Gemeinden regelt, sodass der einen kein Nachteil entsteht, wenn sie im Gegensatz zur Nachbargemeinde kein Bauland ausweist. Es bedarf einer Regelung, die verhindert, dass Erbengemeinschaften jahrelang die Nutzung eines innerörtlichen Grundstücks oder Bestands blockieren. Es bedarf eines anderen Bodenrechts, das Boden- und Gebäudewert gleichermaßen berücksichtigt und Spekulation verhindert. Und es bedarf der Förderung, die den Gemeinden die Mittel verschafft und die Beratung zugänglich macht, um die komplizierte Aufgabe anzugehen. In einigen Bundesländern wurden entsprechend Förderungen aufgelegt und dazu passende Programme initiiert. All denen, die sich darum bemühen, dass Städte und Dörfer wenig neue Flächen in Anspruch nehmen, wurden nun Knüppel zwischen die Beine geworfen.

Der Paragraf 13b ist ein Resultat von gedanklicher Faulheit, politischer Fantasielosigkeit und verantwortungslosem Aktionismus. Denn auch die Herausforderung des Wohnungsmarkts wird damit nicht, wie suggeriert, gemeistert werden, die Dringlichkeit, sich über neue Wege und langfristige Strategien Gedanken zu machen, nur hinausgeschoben. Zu lange zurück reicht die Liste der Versäumnisse, als dass man sie nun mit wenigen Handgriffen in kurzer Zeit wieder ungeschehen machen könnte. Zu lange hat man den Wohnungssektor dem Markt überlassen, hat sich die öffentliche Hand aus der Förderung sozialen Wohnraums zurückgezogen, hat auf eine Bodenpolitik verzichtet, die ihr die Handlungsspielräume hätte verschaffen können, die sie nun schmerzlich vermisst. Nun mit einer handstreichartigen Aushebelung der Umweltverträglichkeitsprüfung zu meinen, die hausgemachten Probleme beheben zu können, ist blanke Illusion.

Die neu eingeführte Regelung könnte stattdessen dazu führen, dass sich der Flächenverbrauch wieder verdoppelt: Das hieße, dass wir 2019 genau wieder dort wären, wo wir 2000 waren, bei einem Verbrauch von über 120 ha am Tag. Auch das ist ein bekannter Effekt: Nicht lange nach der Diät ist man wieder genau so dick wie an ihrem Beginn. Armes fettes Deutschland.

Christian Holl
Christian Holl arbeitet als freier Autor und Publizist und ist Geschäftsführer des BDA Hessen.

Sehen Sie dazu auch die Expertenmeinungen, die zur Frage
»Spekulationsgut Boden – brauchen wir ein neues Bodenrecht?«
unter www.bda-talk.de »
zur Debatte gestellt sind.


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