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Bauen im zweiten Leben: Architecture in Second Life

Diskurs
Bauen im zweiten Leben: Architecture in Second Life

Die baden-würtembergische Landesvertretung, große Agenturen oder Unternehmen, die man bereits aus der echten Welt kennt, eine reale Redaktion für einen fiktiven Nachrichtensender … – alle scheinen unbedingt ein Dasein im »zweiten Leben« zu benötigen, um Marken zu etablieren, Geld zu verdienen oder ihren Bekanntheitsgrad zu steigern. Ergibt sich hier auch für Architekten eine Chance? Und wie stellt sich überhaupt die gebaute Welt in Second Life dar?

~ Rolf Sachsse { Der Autor lehrt Geschichte und Theorie des Designs an der Hochschule der Bildenden Künste Saar.

Millionen loggen sich ein, und die können sich doch nicht irren: Second Life (SL) ist eine sehr erfolgreiche Weltsimulation im Internet und sie wächst im Moment mit großer Geschwindigkeit. Im Jahr 2002 ersonnen von Internet-Veteranen, die sich den Straßennamen ihres Labors gaben – also: LindenLab –, und betrieben von Mitch Kapor, einem Software-Unternehmer (Lotus) mit philantropischen Interessen, hat sich SL binnen kürzester Frist von einem vorhersehbaren Flop in einen gigantischen Gewinn verwandelt, und das allein mit einem kleinen Kunstgriff: Zum Jahreswechsel 2003/04 wurde der LindenDollar mit der US-Währung kompatibel gemacht. Seither kann man tatsächlich durch Ansammlung von LindenDollars und Umtausch in US-Dollar Geld verdienen. Den Wechselkurs bestimmen, ähnlich wie im wirklichen Leben, Angebot und Nachfrage an einer Börse. Ein weiterer Kunstgriff: Mit Ausnahme einer ersten Landnahme, die in etwa einem Erbpachtvertrag entspricht, muss alles in dieser Welt gekauft werden, möglichst von anderen Mitbewohnern, die hier Avatare heißen. Ergo wurde eine deutsch-chinesische Lehrerin, Ailin Gräf alias Anshe Chung, als Bodenspekulantin zur ersten echten Millionärin im ersten Leben aus dem zweiten heraus. Seither geht es in SL neben der Markenetablierung einiger Unternehmen allein um drei Dinge: Sich ein Stück Boden sichern, etwas darauf setzen und dann wieder schnell Geld machen. Der ökonomischen Form nach ist SL ein Schneeballsystem.
SL ist nicht die erste virtuelle Umgebung dieser Art, und sie wird nicht die letzte sein – momentan hält ihr metaphorischer Name für allen Aberwitz her, der sich mit dem Vergleich beider Lebensweisen treiben lässt. Im Gegensatz zur Alphaworld der 1990er Jahre ist SL spätestens seit 2004 eine durch und durch kommerzielle Angelegenheit, die ihren Gründern im Anspruch aus der Hand gelaufen ist, sonst hätten diese die Ursprungs-Software nicht im Januar 2007 zur Veränderung und Bearbeitung durch Interessenten freigegeben. Das bedeutet nicht, dass SL für »Touristen«, also nicht angemeldete beziehungsweise nicht zahlende Mitglieder, freundlicher geworden wäre: »Einfache« Besuche sind nur einmal in 90 Tagen möglich, und wer die kostenlose Software genauso nutzen möchte, muss in Sandalen und höchst unattraktiven Kleidern umherwandeln. Gebaut werden darf dann nur im Sandkasten, in dem abends gelöscht wird, was tags errichtet wurde. Doch wer bezahlt, hat noch längst nicht alle Möglichkeiten dieser anderen Welt: Gebaut wird mit Primers, kleinen Objekten aus geometrischen Grundformen, die einzeln und in Paketen mit LindenDollars bezahlt werden müssen. Zwar können diese Grundformen in allerlei Weisen miteinander verbunden werden und dürfen Oberflächen, Durchsichtigkeit und Farben wechseln, doch ein Schelm sei, wer bei dieser Bauerei nicht an den alten Ankerbaukasten denkt oder an den Kölner Dom aus Streichhölzern. So sieht der Großteil an Architektur in SL auch aus – ein eklektischer Historismus verbreitet sich räumlich in allen Richtungen und wird allein von Repliken realer Architekturen unterbrochen, bei denen eine anonyme Moderne der 1960er Jahre Pate gestanden haben mag. Daran ändern auch Zusammenstellungen von SL-Teilnehmern mit Hitlisten der besten Bauten nichts.
Die großen Firmen, Medienanbieter und Agenturen zeichnen sich durch besondere Langeweile aus: Sie lassen – und dafür gibt es virtuelle Dienstleister en masse – schlicht ihre realen Bauten in SL verdoppeln (Bild 6), vielleicht um das eine oder andere virtuelle Element wie ein offenes Dach oder eine fehlende Vorderwand vereinfacht. Dennoch bleiben bei fast allen SL-Gebäuden einige Fragen unbedacht: Warum eigentlich Treppen bauen, wo die Avatare doch fliegen können? Warum Interieurs, wo es doch kein Außen und Innen gibt? Die primitive Schutzfunktion der Architektur vor Wetter und Wind ist in SL nicht nötig, geblieben ist die symbolische Funktion der Repräsentanz – und da bleibt die Frage, von was. Welche Inhalte sich in SL am besten unterbringen lassen, hat schon die erste Generation von Bewohnern in den Jahren 2002 und 2003 beschäftigt; herausgekommen ist eine Mischung von pädagogischen Angeboten – keine Hochschule ohne SL-Abteilung – und etwas Markenpolitik. Praktische Technik-Folgerungen aus den Klimafragen wie Photovoltaik, Wärmedämmung, Energieeffizienz sucht man in dieser Welt fast vergebens, mindestens jenseits der unendlichen Wortkaskaden aus begleitenden Blogs. Gut vertreten ist in SL eben doch nur alles, was sich medial vermarkten lässt, und da wirkt das Marketing als Schere im Kopf: Lieber auf alte Muster zurückgreifen, um ein neues Medium zu etablieren, als gleich die neuen Möglichkeiten mit diesem Medium selbst ausprobieren – dazu lässt man die »User« arbeiten.
Wenn schon viele Universitäten und Lehrinstitute in SL Angebote ausbreiten, sollten diese doch in der Lage sein, neue Mittel und Methoden der Raumdefinition zu finden. Wozu Straßen und Autos mit Räder, wenn sich Avatare durch jeden Raum bewegen können? Wozu noch eine Lounge mit schweren Lederbänken, einen Büroraum mit eindrucksvoller Theke, an der Wand entlang aufgereihte Bilder für Lehrinhalte oder Verkaufsangebote, wenn sich dies alles ganz anders im virtuellen Raum verteilen lässt? Wo früher die Technik den Möglichkeiten des Neuen Einhalt gebot, scheint es heute um die Angst vor allzu schnellen Veränderungen zu gehen: Wer in SL Erfolg haben möchte, und darauf ist das ganze Spiel des zweiten Lebens inzwischen programmiert, muss sich an die Vorstellungen Vieler halten, also die eigenen Ansprüche zurückschrauben. Doch ganz so schlimm ist es nicht: Am Rande der großen (Re-)Präsentationen finden sich tröstliche Ansätze. Da fliegen schon einmal Avatare durch rotierende Raumpartikel, die sich gar nicht erst die Mühe geben, den festen Abschluss einer Kante zu evozieren. Da sind auch schon weiche Architekturen zu sehen, deren Offenheit in mehr als eine Richtung gerade noch so viel Zusammenhalt ›
› verspricht, als für eine gelingende Kommunikation in virtueller Luft nötig. Und falls sich dann doch noch die Software-Ingenieure finden lassen, die virtuelle Tragwerke zu implementieren wissen – also all die neuen Instrumente, die das Planen und Bauen per Computer im realen Leben spannend gemacht haben –, kann aus SL ja noch eine zweite Welt werden. Immerhin haben derzeit bereits fünf deutsche Universitäten – die Deutschen sind die zweithäufigsten SL-Bewohner – in unterschiedlichen Fakultäten Seminare zur Verbesserung von SL angekündigt, in denen man reale Kreditpunkte für die eigene Ausbildung erwerben kann.
Der SL-Mitbetreiber Mitch Kapor hat seiner eigenen Web-Präsenz ein Motto mitgegeben: »Wer sich ein Haus baut, fragt erst einen Architekten, keinen Ingenieur. Warum? Weil die Kriterien für ein gutes Gebäude weit außerhalb der Bereiche liegen, die mit der Arbeit von Ingenieuren zu tun haben.« SL ist – leider noch – der genaue Gegenbeweis: Erst die Zusammenarbeit von Architekt und Ingenieur würde ein gutes Ergebnis garantieren, in der ersten wie der zweiten oder einer n-ten Welt.
Vorgänger von SL sind durch Angriffe von Hackern und andere Bösartigkeiten zugrunde gegangen; SL wird, so scheint es, im eigenen System implodieren. Eine unendlich ausgedehnte Welt ist auch virtuell nicht mehr erfahrbar, also wird die hemmungslose Immobilienspekulation diesem Spiel ein Ende bereiten. Die nächsten Weltsimulationen sind bereits im Aufbau – wer weiß, welche davon sich im Vergleich der Systeme durchsetzen wird. Das wird nicht die am besten programmierte Struktur sein, sondern die, die dem menschlichen Kommunikationsverhalten am nächsten kommt – eine durchaus ungemütliche Vorstellung.
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