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TÜV-Plakette für Altbauten?

SCoRE – ein Neues Nachhaltigkeitszertifikat für Büro- und Verwaltungsbauten im Bestand
TÜV-Plakette für Altbauten?

Nach BREEAM, LEED und DGNB wieder ein neues Zerti- fikat, das Aussagen über die Nachhaltigkeit und ökologische Qualität von Gebäuden beinhaltet? – Mit »SCoRE« hat nun auch der TÜV Süd ein Verfahren entwickelt, mit dem er die Nachhaltigkeit von Bürobauten im Bestand einschätzen will. Nur: Braucht Deutschland neben der Vielzahl etablierter Labels ein weiteres Nachhaltigkeitszertifikat, oder ist SCoRE als wettbewerbsfördernde Konkurrenz zu verstehen? Und wo liegen die Unterschiede, etwa zum DGNB-System?

{Text: Klaus Siegele

Lange hat es gedauert, bis sich auch Deutschland, immerhin internationaler Vorreiter in der Umwelttechnik, dem Thema Nachhaltigkeit von Gebäuden intensiv angenommen hat. Zwar hat der Bund bereits im Jahr 2001 mit der Einführung des Leitfadens »Nachhaltiges Bauen« den Grundstein für eine ganzheitliche Qualitätsverbesserung des Bauens über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes gelegt. Jedoch ließ er danach viel Zeit ver-streichen, bis er schließlich gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) bei der BAU 2009 in München ein Verfahren und zugleich 16 Projekte präsentierte, mit dem sich Immobilien nach deutschen Maßstäben auf ihre Nachhaltigkeit untersuchen und bewerten lassen. Bis dahin mussten Investoren auf Zertifizierungssysteme aus anderen Ländern zurückgreifen, wollten sie ihre Gebäude mit einem Nachhaltigkeits-siegel versehen, um sich am hart umkämpften Immobilienmarkt Vorteile zu verschaffen. Derzeit existieren mehr als 30 Label weltweit, die jedoch beträchtliche Unterschiede bei den Bewertungsansätzen aufweisen. Das gerade mal zwei Jahre junge DGNB-Siegel hat dabei einiges an Marktanteilen aufzuholen, um bei den rund um den Globus agierenden Immobilieninvestoren als ernsthafte Alternative zu den bestehenden Systemen wahrgenommen zu werden. Allein der gebetsmühlenhafte Verweis darauf, dass ein nach DGNB zertifiziertes Gebäude weitaus strengeren Kriterien zu genügen hat und somit höheren Qualitätsansprüchen entspricht als eine nach BREEAM (aus Großbritannien, seit 1990 am Markt) oder LEED (aus den USA, seit 1998) zertifizierte Immobilie, wird ein professionelles und erfolgreiches Marketing für das Label nicht ersetzen können. Zumal inzwischen Konkurrenz im eigenen Land droht: Nachdem die Zusammenarbeit zwischen Bund und DGNB zu Beginn dieses Jahres wegen Differenzen offiziell beendet wurde, haben sich auch andere Institutionen aus der Deckung gewagt und eigene Zertifizierungssysteme angekündigt und präsentiert. Eines davon ist SCoRE, ein Nachhaltigkeitszertifikat für Bestandsbauten, das der TÜV Süd erstmals auf der Expo Real 2009 präsentiert hat.
Bestandsbauten im Visier
Die griffige und international leichter als DGNB aussprechbare Bezeichnung SCoRE steht für »Sustainability Certification of Real Estate«. Ferdinand Neuwieser, Geschäftsführer der TÜV Süd Industrie Service, sieht in dem neuen Zertifikat ein »wirksames Instrument zur Einschätzung und Steigerung der Nachhaltigkeit von Bestandsbauten«. Gleiches nimmt natürlich auch die DGNB für ihre Zertifikate in Anspruch, was die Frage aufwirft, worin sich die beiden Labels denn nun eigentlich unterscheiden.
Anders als die DGNB, die inzwischen mit acht Nutzungsprofilen am Markt vertreten ist, verleiht der TÜV Süd seine Gold- und Silber-Plaketten bis dato nur in einem einzigen Gebäudesegment, nämlich Verwaltungsgebäuden im Bestand. Jedoch sind die Praxiserfahrungen mit dem neuen Label bislang bescheiden. Gerade mal zwei Bürobauten des in München ansässigen Finanzdienstleisters KGAL wurden bisher mit Gold und Silber ausgezeichnet. Weitaus mehr Erfahrungen hat dagegen die DGNB inzwischen vorzuweisen – insgesamt 120 Gebäude führen bis jetzt deren Siegel in Gold, Silber und Bronze. Allerdings sind darunter auch viele Pilotprojekte und Vorzertifikate. Sie hatten in der Pilotphase und für die weitere Ausarbeitung des Systems wichtige Erkenntnisse gebracht.
Daraus nun aber zu schließen, den Experten vom TÜV fehle es an den nötigen Erfahrungen im Bauwesen, um ein Zertifizierungssystem zu er- arbeiten, wäre weit gefehlt. Der TÜV hat sich über die Jahre einen guten Namen als qualitätssichernder Dienstleister bei der Planung, dem Bau und dem Betrieb von Gebäuden erarbeitet. Seit geraumer Zeit gehört dazu auch die Beratung und Prozessbegleitung zur Nachhaltigkeit von Gebäuden. Insofern ist auch das notwendige Wissen um ökologische, ökonomische und soziale Aspekte beim Planen und Bauen vorhanden. Aus der Summe dieser Erfahrungen rührt auch die Kritik der TÜV-Experten, das DGNB-Siegel richte sich zu einseitig an technischen Aspekten aus, wodurch die Fragen nach der ökonomischen Situation und zur Renditeentwicklung zu kurz kämen – wenngleich der Lifecycle-Gedanke beim DGNB-Zertifikat durchaus diese Fragen aufgreift und zudem das TÜV-Siegel selbst vorwiegend technische Komponenten ins Visier nimmt. Für den Kunden ist dagegen viel wichtiger, sich darüber im Klaren zu sein, was er sich von dem Label grundsätzlich erhofft und wie viel Geld er dafür auszugeben bereit ist.
Während das DGNB-Label die Planungskosten nach eigenen Angaben um rund 5 % und die Baukosten bis etwa 8 % verteuert, beziffert der TÜV Süd die Mehrkosten für eine SCoRE-Zertifizierung auf 20 000 bis 35 000 Euro. Vergleichen lassen sich diese Kostenangaben ebenso wenig, wie sich im Vorfeld eventuell später eingesparte Energiekosten unbekannter Höhe gegenrechnen lassen. Zumal bei beiden Verfahren im Gebäudebestand zusätzliche Gutachten erforderlich werden können bzw. für besondere Leistungen individuelle Honorare für Auditoren oder Sachverständige auszuhandeln sind.
Fünf Bausteine, 150 Kriterien, drei Phasen
SCoRE basiert auf einem praxisrelevanten Kriterienkatalog, der vom TÜV Süd anhand zahlreicher Prüfungen an den Münchner KGAL-Pilotprojekten erarbeitet wurde. Die insgesamt 150 Kriterien des Bewertungssystems setzen sich anteilig aus folgenden Bausteinen zusammen:
  • Energie (Wärmeenergie, elektrische Energie) > 35 %
  • Gebäude, TGA (Konzept, Gebäudehülle, Gebäudetechnik, usw.) > 30 %
  • Standort (Verkehrsinfrastruktur, Image/Lagefaktoren, usw.) > 20 %
  • Wasser, Abwasser, Abfall > 10 %
  • Boden, Altlasten (Altlastenverdacht, Baugrundgutachten, usw.) > 5 %
Ein besonderes Augenmerk legt das Zertifikat auf Nachhaltigkeitspo- tenziale, die Raum für Verbesserungen bieten und unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten umsetzbar sind. Dazu gehören beispielsweise das Nachrüsten oder die Optimierung technischer Anlagen, bestimmte Sanierungsleistungen (Beseitigen von Wärmebrücken) oder der Ausschluss von Schadstoffrisiken. Die Dauer des Bewertungsprozesses erstreckt sich üblicherweise über einen Zeitraum von vier bis acht Wochen und umfasst drei Phasen:
PHASE 1
Am Anfang steht die Vorprüfung der eingereichten Unterlagen, um entscheiden zu können, ob die Aufnahme des Zertifizierungsprozesses überhaupt sinnvoll erscheint. Wer etwa keinen Energieausweis vorweisen kann oder keine Kopie der amtlichen Auskunft zum Altlastenkataster beilegt, erwirkt damit die Einstellung des Zertifizierungsprozesses, bevor dieser richtig begonnen hat. Diese Unterlagen sind eine wichtige Grundlage, um zu erkennen, ob weitere zusätzliche Gutachten für die Bewertung erforderlich sind bzw. ob Umweltschäden, Erdbebenrisiken, Hochwassergefährdung oder Gebäudeschäden von vornherein die höchste Qualitätsstufe unwiderruflich in Frage stellen.
PHASE 2
Sind alle einzureichenden Unterlagen vollständig und geprüft, steht die Besichtigung des Objektes vor Ort an. Dazu stellt der TÜV Süd in der Regel ein fünfköpfiges Ingenieurteam zusammen, dessen Fachkenntnis alle fünf Bausteine des Zertifizierungssystems abdeckt. Dabei kann es durchaus passieren, dass die Sachverständigen bei der Sichtprüfung auf Unzulänglichkeiten stoßen, die zusätzliche Gutachten, Messungen und Unterlagen erfordern – z. B. bei begründetem Verdacht auf Schadstoffe – oder die, im Falle von Bauschäden, eine Sanierung zwingend erfordern, um den KO-Kriterien des Systems zu entgehen.
PHASE 3
In einem dritten und letzten Schritt werden schließlich die Befunde aus der Sichtprüfung ausgewertet und die Ergebnisse mit der Punktevergabe nach dem vorgegebenen TÜV-Standard N-BGBV09 (»Nachhaltigkeit – Büro- und Verwaltungsgebäude im Bestand 2009«) qualifiziert. Auch in dieser letzten Phase kann es passieren, dass der Zertifizierungsprozess vorzeitig endet, weil ein KO-Kriterium eintritt – z. B. wenn eine Probenanalyse oder eine Konzentrationsmessung einen Schadstoffverdacht bestätigt. Zeichnet sich aber ab, dass einer Zertifizierung nichts entgegensteht, beginnt die Potenzialanalyse: Sie zeigt auf, welche Verbesserungen für die Nachhaltigkeit des Gebäudes unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten möglich sind. Die abschließende Vergabe des Zertifikats erfolgt in jedem Fall auf Basis des Ist-Zustands, das ermittelte Verbesserungspotenzial fließt nicht mit ein.
Ein Zertifikat in Silber erhält derjenige Eigentümer, dessen Gebäude mehr als 1 000 Bewertungspunkte erreicht. Für SCoRE Gold müssen mehr als 1 500 Punkte erreicht werden.
Die Qual der Wahl
Ob SCoRE der inzwischen eingeführten Marke DGNB in Zukunft das Wasser reichen kann, bleibt abzuwarten. Die vom TÜV Süd angeführten Vorteile gegenüber anderen Systemen sind für Kunden auf den ersten Blick kaum nachvollziehbar – zu ähnlich ist der systemische Aufbau, zu identisch sind die Kriterien. Auch der anfangs vorhandene Preisvorteil löst sich schnell in Luft auf, wenn zusätzliche Untersuchungen während des Bewertungsprozesses gefordert sind, um überhaupt zum Abschluss zu kommen. Zumal ein einmal vergebenes SCoRE-Label maximal für drei Jahre seine Gültigkeit behält, während das DGNB-Siegel ab dem Zeitpunkt der Ausstellung unbeschränkt gilt. Davon abgesehen deckt die DGNB mit inzwischen acht verschiedenen Nutzungsprofilen fast das gesamte Immobilienspektrum ab, darunter jetzt auch die Modernisierung von Verwaltungsbauten.
Was der TÜV Süd für sich in Anspruch nimmt – das Aufzeigen von Verbesserungspotenzialen im Gebäudebestand unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten –, bildet – in etwas anderer Form – auch das DGNB-System ab. Während die DGNB derzeit mit aller Kraft versucht, ihr System international zu etablieren, beschränkt sich der TÜV Süd auf die nationale Anwendung, ebenso wie das »Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen« (BNB) des Bundes. Das mag für die praxis- und normengerechte Zertifizierung von Immobilien in Deutschland von Vorteil sein, jedoch erlaubt ein solches Vorgehen kaum Qualitätsvergleiche auf internationaler Ebene, was für Investoren ein wichtiges Argument ist.
Für das System der DGNB sprechen der offene und demokratische Umgang in der Weiterentwicklung und die künftig von neutralen Institutionen vollzogene Ausbildung der Auditoren. Dass sich diese sehr aufwendig und zeitintensiv darstellt, ist für die Ausweitung der Marktdurchdringung allerdings auch von Nachteil. Der TÜV Süd schickt für SCoRE nur die von ihm selbst ausgebildeten Sachverständigen ins Rennen, was deren Neutralität bei der Bewertung durchaus in Frage stellen könnte. Schwer zu verstehen ist zudem, weshalb der TÜV Süd überhaupt ein eigenes Zertifizierungssystem verfolgt, zugleich aber noch immer offizielles Mitglied der DGNB ist (ebenso wie TÜV Rheinland und TÜV Hessen, die SCoRE aber bis jetzt nicht anbieten). Zumindest erklärt sich daraus die Verwandtschaft im Aufbau beider Systeme. •
Weitere Informationen: www.tuev-sued.de, www.tuev-sued.de Bisherige in db erschienene Artikel zum DGNB-Zertifikat, siehe:
db 3/2008, Nachhaltiges Bauen – Nachhaltigkeitszertifikat der deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen, S. 86 ff.
db 5/2009, Die Bemessung der Nachhaltgkeit – Das Zertifizierungssystem »Deutsches Gütesiegel nachhaltiges Bauen«, S. 62 ff
db 9/2009, Nachhaltigkeit im Vergleich – Eine Gegenüberstellung des DGNB- und des LEED-Gütesiegels, S. 68 ff
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