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Grauwerte

Die Rolle des Primärenergiegehalts von Baustoffen
Grauwerte

Neubau oder Umbau – was ist ökologisch sinnvoller? Wie viel graue Energie steckt in einem Gebäude, wie viel muss im Falle eines Neubaus investiert werden? – Die wichtigsten Stellschrauben zur Reduzierung der grauen Energie werden bereits während der Planung gesetzt. Denn Gebäudegröße und Kompaktheit beeinflussen die Gesamtmenge an grauer Energie ebenso wie die Wahl der eingesetzten Materialien. Deren Primärenergiegehalte sind inzwischen durch die Fülle an bereitstehenden Informationen bekannt und erlauben so eine Bewertung einer Baumaßnahme mit einem ganzheitlichen ökonomischen und ökologischen Blick.

Text: Danny Püschel, Taco Holthuizen

Was ist der Unterschied zwischen einer Erdbeere im Juni und einer Erdbeere im Dezember? Nun, wenn wir mal vom Geschmack und vom Preis absehen, eigentlich keiner. Das zumindest sollte man annehmen. Doch stammt die Erdbeere im Juni höchstwahrscheinlich von Obstbauern aus der Region oder gar aus dem eigenen Garten. Im Dezember hingegen muss die Erdbeere entweder von der Südhalbkugel importiert oder in Gewächshäusern angepflanzt und geerntet werden. Sie hat also eine extrem weite Anreise hinter sich oder sie wurde für ihr Wachstum künstlich beleuchtet und beheizt. Transport, Beleuchtung und Heizung sind aber mit Energieaufwand und natürlich entsprechenden äquivalenten CO2-Emissionen verbunden. Da diese gewissermaßen in dem Produkt versteckt sind, wird die Energiemenge, die für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung eines Produkts oder einer Dienstleistung notwendig ist, als »graue Energie« bezeichnet. Sie steckt also in jedem Produkt – sei es im Bleistift, einer Tafel Schokolade oder im Auto – und hat Einfluss auf den Produktpreis.
Wissenschaftlich-technisch ausgedrückt ist graue Energie die Summe der Primärenergien, die für die Bereitstellung des Produkts oder der Dienstleistung aufgewendet werden müssen [1]. Doch international herrscht über Methoden, Systemgrenzen der Bilanzierung und Datengrundlagen der Berechnung der grauen Energie noch Abstimmungsbedarf. Denn beispielsweise müssen auch die »Importe« von grauer Energie und CO2 berücksichtigt werden: Die Schweiz etwa gilt im Vergleich zu anderen Industrieländern als relativ klimafreundlich, da die äquivalenten Pro-Kopf-Emissionen von Kohlendioxid (CO2) mit 7,2 t jährlich (Stand 2004) deutlich unter denen von Ländern wie Deutschland liegen. Eine detaillierte Studie des Bundesamts für Umwelt der Schweiz ergab jedoch ein völlig anderes Resultat. Die Schweiz führt über den Import von Gütern aus Deutschland über 10 Mio. t CO2-Emissionen ein, die zusätzlich ihren jährlichen inländischen Emissionen von 53 Mio. t CO2 anzulasten sind. Wenn also beispielsweise ein Auto in Deutschland hergestellt und in die Schweiz exportiert wird, muss die graue Energie der Schweiz und nicht Deutschland zugerechnet werden. Werden alle »grauen Emissionen« von Importen und Exporten berücksichtigt, kommt die Schweiz auf ca. 12,5 t CO2-Äquivalenten pro Kopf und Jahr und liegt somit in etwa beim Durchschnitt der Werte der OECD-Länder [2].
Betriebsenergie versus Gesamtenergie
All diese Überlegungen gelten auch für den Baubereich, denn auch die Erstellung eines Gebäudes ist mit Energieaufwand und diversen Treibhausgas-Emissionen verbunden. Besonders der Wechsel von natürlichen hin zu synthetischen Baustoffen und komplexen Verbundmaterialien und der globalisierte Handel über weite Strecken hinweg haben in den letzten Jahrzehnten zu einem stark gestiegenen Verbrauch an grauer Energie geführt. Hinzu kommen der durch sich ständig verschärfende Gesetze entstehende Energieaufwand z. B. für die Gebäudedämmung sowie der Energieaufwand für die zunehmende technische Gebäudeausstattung.
Diese Faktoren führen dazu, dass wir mittlerweile mehr Energie verbauen als Häuser in ihrer durchschnittlichen Lebenszeit von 50-60 Jahren an Betriebsenergie verbrauchen. Im Gebäudebereich liegen typische Werte für graue Energie bei 400 bis 1400 kWh/m2 bzw. bei 15 bis 40 kWh/m2 und Jahr – und damit bereits auf dem Niveau des Betriebsenergieverbrauchs von Niedrigenergiehäusern [1]. Das macht deutlich, dass die für die Herstellung von Baustoffen, die Gebäudeerrichtung und deren späteren Rückbau aufgewandte Energie Dimensionen angenommen hat, die man nicht mehr vernachlässigen kann. Die weiteren gesetzlichen Verschärfungen des Betriebsenergieverbrauchs und die steigende Nutzung regenerativer Energien im Betrieb werden mittelfristig dazu führen, dass die graue Energie künftig den wesentlichen Teil der Umweltwirkung von Bauwerken ausmacht! Es wird dringend erforderlich, eine ganzheitliche, erweiterte Betrachtung der Umweltwirkungen von Bauwerken zu etablieren: die Gesamtenergiebilanz, also den Aufwand an grauer Energie und der Betriebsenergie über den gesamten Gebäudelebenszyklus. Anders wird der Bausektor seinen Beitrag zum klimapolitischen 2-Grad-Ziel (bis 2050 muss sich der CO2-Ausstoß weltweit um 95 % reduzieren [3]) nicht leisten können. Die einseitige Fokussierung auf die Betriebsenergie muss also von nun an ein Ende haben.
Ein Handlungsfeld, das dabei aber noch weitgehend unerschlossen ist und erheblichen Diskussionsbedarf bietet, ist die Gebäudedämmung. Ab einer bestimmten Dicke steht die durch jeden Zentimeter mehr Dämmung erzeugte Energieeinsparung bei der Gebäudetemperierung in keinem Verhältnis mehr zur Energie, die bei der Herstellung hierfür benötigt wird. Betrachtet man diese Energiebilanz im Hinblick auf den CO2-Ausstoß, heißt das: Bei einem Heizsystem, das auf regenerativen Energien aufbaut, ist dieser entsprechend gering. Dem gegenüber steht aber ein hoher CO2-Ausstoß bei der Herstellung der Dämmung. Dieses Mehr an CO2 wird durch ein effizientes Gesamtsystem oft erst nach Generationen wieder eingespart. Wird diese Abhängigkeit nicht erkannt, führt eine Fokussierung auf Dämmdicken zu einem erhöhten CO2-Ausstoß. Somit wird das Ziel der Energie- und CO2-Einsparung konterkariert.
Konzepte wie das Niedrigenergie-, Passiv-, Nullenergie- oder Plusenergiehaus suggerieren nur einen behutsamen Umgang mit Energie. In vielen Niedrigenergiehäusern wird aber die Betriebsenergie auf Kosten eines höheren Materialaufwands und damit einem Mehr an grauer Energie reduziert.
Vergleichen und optimieren
Doch wie sieht das optimale Verhältnis von grauer Energie und Betriebsenergie aus? Das Optimum bestimmt sich v.a. in Abhängigkeit von der Lebensdauer der eingesetzten Materialien sowie der angestrebten Nutzungsdauer der Gebäude. Diese kann potenziell schon während der Planung deutlich erhöht werden, wenn die Gebäude ein flexibles Nutzungskonzept aufweisen und entsprechend konstruiert werden. Das klingt einfach und ist es im Grunde auch. Häuser mit niedriger Gesamtenergiebilanz zu bauen ist keine Kunst, die den »ganz Grünen« unter den Planern vorbehalten ist. Konsequent wirtschaftliches Denken, intelligente Baustoffauswahl und eine optimierte Bauweise – diese drei Faktoren beeinflussen die Höhe der grauen Energie enorm. Beim Bau eines Einfamilienhauses mit z. B. 207 m2 Wohnfläche und ca. 110 m2 Kellernutzfläche kann man viele Mengen an grauer Energie einsparen, wenn man es statt in Ziegelbauweise in Holzbauweise errichtet, wie ein Vergleich aus dem Jahre 2006 [4] zeigt. 65 000 kWh bezogen auf 60 Jahre sind dabei eine realistische Größe. Das untersuchte Gebäude verbraucht in rund 40 Jahren jene Energiemenge für die Beheizung, die zur Herstellung des Gebäudes erforderlich war. Eine andere Studie [5] verweist darauf, dass Fassadenkonstruktionen mit Naturstein erhebliche ökologische und ökonomische Vorteile z. B. gegenüber Glaskonstruktionen haben können: Im Rahmen des Neubaus des Frankfurter Opernturms wurde aufgezeigt, dass eine Natursteinfassade sowohl in der Herstellung als auch in der Nutzungsphase wesentlich weniger Primärenergie als eine Hülle aus Glaselementen benötigt.›
› Die Wahl der Baustoffe muss daher mehr Beachtung finden. »Gute Baustoffe« zeichnen sich aber nicht nur dadurch aus, dass sie den Bau energieeffizienter Gebäude ermöglichen, sondern auch durch Produktionsbedingungen, die ebenfalls zum Umwelt-und Klimaschutz beitragen. Letzteres findet bislang zu wenig Beachtung. Vom energetischen Standpunkt aus betrachtet ist das ein Fehler. Eine Studie des Öko-Institut Freiburg [6] belegt beispielsweise klar, dass Betondachsteine aus Umweltsicht Tonziegeln vorzuziehen sind – auch bei der grauen Energie schneiden sie wesentlich besser ab.
Grundlage: Datenbank
Abbildung 3 liefert einen Überblick über graue Energie und Treibhauspotenzial gängiger Baumaterialien, die auf Grundlage von EPD-Daten (Umweltproduktdeklarationen) erstellt wurden. Die enormen Unterschiede zwischen den Baustoffen fallen zwar auf, doch sind die allein Masse bezogenen Werte mit Vorsicht zu genießen – erst nach der Ermittlung der insgesamt tatsächlich verbauten Mengen (s. Abb. 2) kann ein objektiver Vergleich angestellt werden. Ohnehin ist genau genommen eine Gegenüberstellung oder die Bewertung von EPD-Daten nur möglich, wenn alle zu vergleichenden Datensätze auf der gleichen Basis, z. B. nach EN 15804:2012, erstellt wurden und der Gebäudekontext bzw. die produktspezifischen Leistungsmerkmale berücksichtigt werden. Dies sollte man sich vergegenwärtigen, wenn man sich – wie im digitalen Zeitalter leicht möglich – über die Umweltwirkung von Baustoffen informiert. Hierzu liefern Datenbanken wie z. B. WECOBIS, Ökobau.dat, DGNB-Navigator und ecoinvent eine Vielzahl hervorragender Daten. Teilweise muss man allerdings schon sehr tief in der Materie stecken, um diese interpretieren zu können. Einen guten ersten Überblick liefert die von Nutzern erweiterbare Seite www.gutebaustoffe.de.
Gesellschaftliche Kreativität
Die gesetzlichen Regularien wie die EnEV führen zu einer drastischen Reduzierung der Betriebsenergieverbräuche. Dies darf aber nicht zulasten einer Energie- und CO2-Verlagerung in den Herstellungsprozess von Bauwerken und Baustoffen geschehen. Wenn der Baubereich seine gesellschaftlich-ökologische Verantwortung erkennt und diese auch annimmt, müssen Energie- und CO2-Bilanz von Gebäuden über den gesamten Lebenszeitraum betrachtet und reduziert werden. Architekten und Bauingenieure sind nun angehalten, über die planerischen, gestalterischen und technischen Sphären hinaus ihre gesellschaftliche und ökologische Kreativität zu beweisen. •
Quellen und weitere Informationen:
[1] SIA Merkblatt 2032, Ausgabe 2010, Graue Energie von Gebäuden, SIA Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein Zürich (Hrsg.), 2009
[2] www.energie-lexikon.info/graue_energie.html (Stand April 2013)
[3] Klima-Roadmap 2050, Fahrplan für den Übergang zu einer wettbewerbsfähigen CO2-armen Wirtschaft bis 2050, EU-Kommission, 2011
[4] Österreichischer Energiesparverband, Graue Energie im Alltag, 2006 (nicht mehr online verfügbar, s. alternativ: www.klimarettung.at/assets/downloads/GraueEnergie.pdf)
[5] Nachhaltigkeitsstudie Ökobilanzen von Fassadenkonstruktionen mit Naturstein und Glas, Deutscher Naturwerkstein-Verband e. V. (DNV) (Hrsg.), erstellt von PE International, Leinfelden-Echterdingen, 2010
[6] Ökobilanzieller Vergleich von Dachziegel und Dachstein, Endbericht im Auftrag der Monier Group, Öko-Institut, Freiburg, 2008
[7] Hegger, Manfred, u.a., Energie Atlas, Nachhaltige Architektur, Edition Detail, München, 2007
Von Danny Püschel ist auch ein Buch zum Thema Umweltgerechte Baustoffe erschienen: Püschel, Danny und Matthias Teller, Umweltgerechte Baustoffe, Graue Energie und Nachhaltigkeit von Gebäuden, Fraunhofer Verlag, 2013 – s. hierzu auch S. 62 in diesem Heft

Energie (S. 64)
Danny Püschel
1978 in Eisenhüttenstadt geboren. Biologiestudium an der Humboldt-Universität zu Berlin, Diplom 2007. Seit 2008 wiss. Mitarbeit am SUSTAINUM – Institut für zukunftsfähiges Wirtschaften, Berlin.
Taco Holthuizen
1966 in Baden (CH) geboren. Architekturstudium an der ETH Zürich und der TU Berlin. 1997 Gründung des Büros Holthuizen Architekten. Seit 2009 Geschäftsführung des Ingenieurbüros eZeit Ingenieure. Gründungsmitglied der Desertec Foundation für sauberen Strom aus regenerativen Energien.
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