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Fürstlich gelagert

Liechtensteinisches Landesarchiv Vaduz (FL)
Fürstlich gelagert

Der schmucke Neubau des liechtensteinischen Landesarchivs verhilft nicht nur der Landeshauptstadt des Fürstentums, jahrelang Musterbeispiel der Suburbanität, zu einem reizvolleren Stadtkern, er stellt zugleich ein Novum im Archivwesen dar. Wegen des anspruchsvollen und zonenabhängig immer unterschied- liche Innenraumklimas bot sich der Schweizer Passivhausstandard Minergie-P an.

  • Architekten: Kaundbe Architekten Tragwerksplanung: Gassner und Partner, Grünenfelder + Lorenz, Tragweite
  • Kritik: Hubertus Adam Fotos: Barbara Bühler
Um Vaduz nach Jahrzehnten wenig kontrollierter baulicher Entwicklung endlich zu einem erkennbaren Zentrum zu verhelfen, wurde 1986 ein Wettbewerb für den Bereich zwischen Regierungsgebäude, Verweserhaus und Pfarrkirche durchgeführt. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte die Hauptstadt des Zwergstaats zwar sukzessive Zentrumsfunktionen übernommen, aber ohne dass ein wirkliches städtebauliches Konzept existierte. Luigi Snozzi, der gekürte Sieger im Wettbewerb, hatte die Aufgabe kongenial gelöst: Seine Idee bestand in einer der Topografie folgenden, sanft geschwungenen Hangfuß-Bebauung mit Räumen für das Landesmuseum, das Landesarchiv und die Musikschule, vor der die einzelnen bestehenden und neu hinzuzufügenden Gebäude als Solitäre treten sollten. Vor dem Volk indes fand der Plan keine Gnade: Zu unkonventionell erschien vielen das Nebeneinander von Alt und Neu, wenn auch das Aus in einer Abstimmung von 1993 mit zu hohen Kosten begründet wurde. Immerhin flossen Snozzis Ideen in einen Masterplan für das Regierungsviertel, dessen Realisierung nun in Schritten begann. Ein erster Wettbewerb 1998 galt der Erweiterung des Landesmuseums, den das Büro Brunhart, Brunner und Kranz aus dem liechtensteinischen Dorf Balzers für sich entschied (s. db 7/2004, S. 11). Den Wettbewerb für das Parlamentsgebäude gewann zwei Jahre später der in Hannover tätige Architekt Hansjörg Göritz (s. db 10/2008, S. 72). Im Januar 2005 schließlich erhielten die in Vaduz ansässigen Kaundbe Architekten beim Wettbewerb um das Landesarchiv den ersten Preis.
Gegen den Hang gestemmt
Mit einem parallelogrammförmigen Grundriss knüpft dieser Neubau nun südlich an das »Langehaus« des Parlamentsgebäudes von Göritz an. Die aus drei Bausteinen bestehende Hangfuß-Bebauung im Zentrum von Vaduz hat so einen plausiblen, ästhetisch auf die bestehenden Bauten abgestimmten und zumindest vorläufigen Abschluss gefunden, und auch die Situation der öffentlichen Räume überzeugt als Gesamtensemble. Doch anders als sein Nachbar steht das Landesarchiv nicht frei vor dem gesicherten Hang, sondern bildet selbst das Widerlager, da aufgrund der Nutzung auf eine Belichtung von der Ostseite verzichtet werden konnte. Während UG und EG einen gemeinsamen Sockel bilden, wurde das Volumen in den vier OGs baulich differenziert: Ein schmalerer Büro- und Verwaltungstrakt dringt von Süden her in den Magazinbaukörper ein. Die unterschiedlichen Funktionen manifestieren sich auch an der Fassade. Für die nach außen hin geschlossenen Magazinbereiche griffen Kaundbe den für die Region fremden, markanten, gelblich-ockerfarbenen Ziegelstein aus dem Schweizer Jura auf, den Göritz nicht nur für Parlamentssaal und Langehaus, sondern auch für die gesamte Außenraumgestaltung verwendet hatte. Mit diesem Material korrespondiert der crémefarbene Verputz für den Bürotrakt und die Zone des ersten OG, das sich – in den Nordteil ausgreifend – als Benutzerebene mit Empfang, Lesesaal und Seminarraum zwischen die Magazingeschosse schiebt. Damit gliedert sich das Gesamtvolumen in drei funktional und hinsichtlich der Zugänglichkeit differenzierte Bereiche: die öffentliche Zone für die Archivnutzer, den halböffentlichen Verwaltungsbereich und schließlich die nur für Archivmitarbeiter zu betretenden Magazine.
Herausforderung Archiv
Archive sind Bauten, die auf einen langen Zeithorizont ausgelegt werden und damit ein nachhaltiges Bauen im Sinne einer langen Lebensdauer erzwingen. Um über viele Jahrzehnte für das sensible Archivgut Schutz zu bieten, muss alles getan werden, damit ein möglichst konstantes Raumklima gewährleistet werden kann. Daher hat sich im Archivwesen seit längerem das »Kölner Modell« durchgesetzt: Ein möglichst ausgeglichenes, nur minimalen Schwankungen unterworfenes Raumklima wird hierbei nicht durch energieaufwendige künstliche Klimatisierung erzielt, sondern durch eine bauphysikalische Lösung, die sich unter minimalem Einsatz von Klimatechnik selbst reguliert. Das von Fritz Haferkamp entworfene Stadtarchiv in Köln – jenes Gebäude, das durch unsachgemäße Arbeiten beim U-Bahn-Bau im März 2009 einstürzte – gilt als erste Umsetzung dieser Idee, und ihm folgten eine Reihe von Archivneubauten. Auch das Liechtensteinische Landesarchiv steht in dieser Tradition. ›
› Erreicht wurde dies durch zwei Strategien: eine massive Raumhülle und – komplementär dazu – die Minimierung störanfälliger, haustechnischer Gerätschaften.
Die aufgrund der Lage als Widerlager am Hang bedingte massive Ausführung des Gebäudes – die gegen den Fels orientierten Wände bestehen aus einer 50 cm dicken Betonwand und einer Wärmedämmschicht von 18 cm, die übrigen Wände aus 25 cm Beton, 18 cm Wärmedämmung und Sichtmauerwerk – garantiert jene Masse, die zu einer Trägheit und Stabilisierung des Klimas im Innern führt. Die Realisierung nach Minergie-P-Standard (s. u.) entkoppelt das Gebäude zusätzlich vom Außenklima. Ziel war es, das Innenklima zwischen 16 °C bei 45 % relativer Luftfeuchte und 20 °C bei 55 % relativer Luftfeuchte einzupendeln. Die wesentliche Herausforderung bestand darin, die Feuchtigkeitsschwankungen im Innern der Archivräume in den Griff zu bekommen. Dies um so mehr, als die auf Zuwachs berechneten Räume nur teilweise mit Archivgut belegt sind, das selbst mit seiner Materialität – die Materialien bestehen zum größten Teil aus Papier – zur Feuchtepufferung beiträgt. Von der Zeit der Bauaustrocknung abgesehen, neigt das Innenklima dazu, im Sommer zu feucht und im Winter zu trocken zu sein. So musste nach Ersatzmaterialien gesucht werden, die im Sommer Feuchtigkeit aufnehmen und im Winter kontrolliert abgeben. Verschiedene Materialien wurden untersucht, darunter auch Lehmbauplatten, doch am Ende fiel die Wahl auf Kügelchen aus Silikatgel, die man auch im Museumsbau bei Vitrinen einsetzt. In Hüllen verpackt, wurden diese mittels Kartonpappen, wie sie auch für Archivschachteln Verwendung finden, unterhalb der Tablare in den Regalen befestigt – eine ebenso simple wie wirkungsvolle Methode, die im Archivwesen gleichwohl ein Novum darstellt.
Mindestens Minergie
Ebenfalls neu war der Minergie-P-Standard, denn das Landesarchiv ist das erste, liechtensteinische und schweizerische Verwaltungsgebäude in Passivhausbauweise. Seit einigen Jahren müssen alle staatlichen Neubauten im Fürstentum mindestens Minergie-zertifiziert sein – Liechtenstein übernimmt hier also die Energielabels seines Nachbarn, ähnlich wie auch die schweizerischen SIA-Normen im Fürstentum weitgehend anerkannt sind.
Die Massivität und hohe Dämmung des Gebäudes führen dazu, dass der geringe Energiebedarf für das Heizen und Kühlen mit einer Wärmepumpe über das Grundwasser generiert werden kann. Die kontrollierte Lüftung mit separaten Systemen für Büro- und Benutzerbereiche sowie Magazine ermöglicht eine Wärmerückgewinnung aus der Abluft. Die Vermeidung von überflüssiger Haustechnik führte überdies zu dem Konzept, die unterschiedlichen Magazinbereiche mit nur einer Anlage zeitversetzt mit Frischluft zu versorgen. ›
› Auch die Beleuchtung folgt den Vorgaben des Minergie-P-Standards. Logischerweise wurden also Leuchtmittel mit geringem Energieverbrauch eingesetzt, des Weiteren die Beleuchtungsquellen in den verschiedenen Räumen automatisch gedimmt oder abgeschaltet. Der Gesamtenergieverbrauch liegt bei 32 kWh/m2 a und beträgt damit lediglich ein Drittel der Menge, die ein zeitgenössisches Verwaltungsgebäude erfordert. Bei der Außenbeleuchtung wurde darauf geachtet, die Lichtverschmutzung gering zu halten und keine mächtigen Flutscheinwerfer einzusetzen. Für die abendliche Fassadenprojektion wurden Projektoren installiert, die durch Masken Streulicht und damit Lichtverschmutzung verhindern. Diese zwar nicht technologisch, aber für Vaduz neue Form der Außenbeleuchtung öffentlicher Bauten dient auch als Testanlage, um womöglich bei anderen bedeutenden Gebäuden in der Landeshauptstadt eingesetzt zu werden.
Bei der Materialisierung setzten die Architekten neben Beton auf mineralische Putze sowie auf den nachwachsenden Rohstoff Holz für Teile des Innenausbaus, etwa Eichenholz bei Trennwänden und Parkett. Einzig zertifiziertes Material aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern (FSC-Label) fand Verwendung. Bei der Wahl der Baumaterialien unterzog man sich einer bauökologischen Untersuchung und orientierte sich an der Schweizer Umweltkennzeichnung Eco-Devis. Die Zertifizierung gemäß dem Label Minergie P-eco kam jedoch nicht in Frage, da dieses zur Zeit der Projektierung gerade erst entwickelt worden war. Zum anderen sprach die besondere Gegebenheit des Bauplatzes dagegen, insbesondere das nötige statische Abfangen des Erddrucks. •
  • Standort: 9490 Vaduz (FL) Bauherr: Land Liechtenstein, vertreten durch die Regierung des Fürstentums Liechtenstein Bauherrenvertretung, Brandschutz: Hochbauamt Land Liechtenstein Architekten: Kaundbe Architekten, Vaduz Mitarbeiter: Jürgen Fränzer (Projektleitung); Thomas Keller, Richard Brander, Melanie Weikert Tragwerksplanung (Hochbau): Gassner und Partner, Triesenberg; Grünenfelder + Lorenz, St. Gallen Tragwerksplanung (Baugrube): Tragweite, Vaduz Bauökologie: Lenum, Vaduz HLS- und Lichtplanung: ITW Ingenieurunternehmung, Balzers Experte Licht: Artlight, St. Gallen Experte Archivgut: Andrea Giovanni, Lumino Elektroplanung, Mess-, Steuer, Regel- und Leitsystemtechnik: Marquart Elektroplanung + Beratung, Vaduz Bauphysik: Baumann Akustik und Bauphysik, Dietfur Kunst am Bau: Roland Korner, Triesen (»Archiv ans Licht«); Regina Marxer, Vaduz (»Gras«); Hanna Roeckle, Zürich (»Pakal«) BGF: 4 718 m² BRI: 16 500 m3 Baukosten: 22,4 Mio. Euro Bauzeit: September 2006 bis Oktober 2009
  • Beteiligte Firmen: Silikatkugeln (»Prosorb«-Beutel): Dry & Safe, Önsingen, www.trockenmittel.ch Kartonage: Tschudi + Cie, Netstal, www.trockenmittel.ch Projektionsbeleuchtung: Opticalight, Zürich Innen- und Außenbeleuchtung: Inelectra, Eschen, www.trockenmittel.ch Fenster aus Holz-Metall, Aussentüren, Metalltore: Gawa, Schaanwald Aufzüge: Kone, Bassersdorf, www.trockenmittel.ch Brandmeldeanlage: Siemens Schweiz, Gossau Heizung: Alpiq Intec; Schaan, www.trockenmittel.ch Klima- und Kälteanlagen: Ospelt Haustechnik, Vaduz, www.trockenmittel.ch
  • 1 Magazin
  • 2 Technik
  • 3 Lager
  • 4 Fahrradraum
  • 5 Traforaum
  • 6 Schleuse
  • 7 Medienraum
  • 8 Foto- und Filmstelle
  • 9 Lesesaal
  • 10 Empfang
  • 11 Cafeteria 12 Entwicklung
  • 13 (Mikro-)Verfilmung
  • 14 Spezialmagazin
  • 15 Handbibliothek

Energie (S. 60)
Hubertus Adam 1965 in Hannover geboren. Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie in Heidelberg. 1996-98 Redakteur der Bauwelt, seit 1998 Redakteur der archithese. Freier Architekturkritiker v. a. für die NZZ. Seit August 2010 Künstlerischer Leiter des S AM Schweizerisches Architekturmuseum in Basel.
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