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»Grandhotel Cosmopolis« Zwischen den Welten in Augsburg

»Grandhotel Cosmopolis«
Zwischen den Welten in Augsburg

Ein ehemaliges Pflegeheim beherbergt als auf zehn Jahre angelegte Zwischennutzung Künstlerateliers, preiswerte Übernachtungsmöglichkeiten und auch Unterkünfte für Asylbewerber. Die räumliche Nähe befördert den Kontakt der Bewohner untereinander und bereitet den Boden für eine künstlerische Auseinandersetzung. Jedes Gästezimmer wurde von einem Künstler individuell gestaltet, jeder Bewohner kann sich frei, je nach seinen Möglichkeiten, in das Projekt einbringen und an dieser »sozialen Skulptur« mitwirken.

    • Architekt: Michael Adamczyk

  • Kritik: Rudolf Stumberger Fotos: Grandhotel Cosmopolis e.V.; Rudolf Stumberger
Begonnen wurde das Grandhotel-Projekt 2011 durch die Initiative einer Gruppe von engagierten Personen mit jeweils sehr unterschiedlichem Hintergrund, denen für die Umnutzung eines ehemaligen Altenheims in ein Flüchtlingsheim eine »soziale Skulptur« vorschwebte, ein gesellschaftliches Gesamtkunstwerk, das Akzente für ein friedliches Zusammenleben in der modernen Stadtgesellschaft setzt. In dem leer stehenden Gebäude, das der Diakonie Augsburg gehört, sollten verschiedene Ansätze kultureller Vielfalt v. a. mit einem Angebot zur sozialen Teilhabe für alle verknüpft werden. Zuvorderst stand dabei die Bereitstellung von mietfreien Wohn- und Arbeitsräumen für Augsburger Kulturschaffende, gefolgt von der Einrichtung von Unterkünften für Asylbewerber, die es in das Projekt zu integrieren galt. Die Bezeichnung »Grandhotel« steht dabei ironisch für eine stilvolle mehrkulturelle Begegnungsstätte mit dem Flair und Glamour der »großen weiten Welt«. Fast alle Möbel stammen vom Sperrmüll oder aus dem Sozialhilfekaufhaus, der Konsumverzicht ist politisch gewollt. Das Café im Eingangsbereich hat mit seinen Plüschsesseln, einer Stehlampe und einem 50er-Jahre-Radio dadurch eine ganz eigene Atmosphäre erhalten. An der Wand zeigen verschiedene Uhren unterschiedliche Weltzeiten an – z. B. die der Flüchtlingsorte Lampedusa oder Gaza. In einem Nebenraum sitzen zwei junge Frauen an alten Schulbänken. »Das Café wurde als erste Baumaßnahme fertiggestellt«, berichtet der Architekt Michael Adamczyk, der von Anfang an dabei war, als das soziale Projekt mit dem Namen »Grandhotel Cosmopolis« in der Innenstadt von Augsburg unweit des Doms seinen Anfang nahm. Und: »Dieser Lobbybereich ist ein zentraler Ort, hier begegnen sich die Bewohner und Besucher.« Entsprechend ist das neben dem Eingang gelegene Café der meistgenutzte Raum im ganzen Haus. Man rechnet damit, dass auch das Restaurant stark frequentiert sein wird, sobald der dauerhafte Küchenbetrieb anläuft.

»Das Gebäude eignete sich im Grunde ganz gut für das Projekt«, urteilt Architekt Adamczyk, die Innenstadtlage sei hervorragend. Selbst ein gewisser Charme sei dem Gebäude von 1963 mit seinen 66 Zimmern und einer Gesamtfläche von 2 600 m² gegeben. Problematisch sei aber die Größe und die Monotonie eines Pflegeheims gewesen: »Im Haus herrschte eine gewisse beklemmende Stimmung.« Dem wusste man mit radikalen künstlerischen Interventionen bei der Umgestaltung der Räume in Funktion und Farbgebung zu begegnen.

So trägt ein Hotelzimmer in der vierten Etage den Namen »Utopia«; von hier aus geht der Blick weit über die Altstadt. Es ist im unverwechselbaren »Grandhotel«-Stil eingerichtet: schlicht, mit Möbeln der 50er und 60er Jahre und einer künstlerischen Note. So wie das Zimmer »Innen und Außen« ein Stockwerk höher. Dort geht in einer Zimmerecke ein Mann durch die Wand – als Skulptur. Daneben befindet sich der Raum »Maskerade des Lebens«, mit einer großflächigen Wandbemalung. Jedes der Zimmer wurde von Künstlern individuell gestaltet. Seit Mitte 2013 hat das Grandhotel seine Pforten geöffnet und ist mittlerweile mit einer Belegungsrate von 60 % gut besucht.

»Wir haben alle möglichen Gäste«, sagt Peter Fliege, einer der Mitarbeiter des Projekts: Studierende, Familien, Neugierige. Zwei der zwölf Zimmer sind als festes Kontingent an das Stadttheater und an eine Augsburger Firma vergeben. Am heutigen Donnerstag sind sechs der Unterkünfte belegt. Der Preis für ein Einzelzimmer beträgt 40 Euro, für das Doppelzimmer 60 Euro, Bad und Toiletten befinden sich auf dem Gang. »Man kann auch mehr zahlen und ›
› so das Grandhotel unterstützen«, sagt Peter Fliege. Genauer: Man unterstützt damit den gemeinnützigen Verein Grandhotel Cosmopolis e.V., der als Mieter von Hotel, Bürgergaststätte, Café-Bar und Ateliers fungiert.

Mittäterschaft

Außer den Hotelgästen leben hier, im Nebenflügel, noch die »Hotelgäste mit Asyl«, wie es im Konzept der Initiatoren heißt. Noch sind diese Gäste aber erst auf der Suche nach Asyl, d. h., ihr Antrag ist bei der Regierung von Schwaben in Bearbeitung, die wiederum Mieter der Hotelbereiche »mit Asyl« ist. Rund 60 Flüchtlinge sind hier auf drei Etagen untergebracht, darunter viele Familien aus Tschetschenien und Syrien. Gekocht wird in Etagenküchen, auch hier sind Bad und WC auf dem Flur, auch hier haben die Zimmer jeweils individuelle Anstriche erhalten.
Dass das Projekt soweit gedeihen konnte, hat damit zu tun, dass sich die Diakonie das Konzept der Projektgruppe zu eigen gemacht hat. 340 000 Euro wurden bisher für die Umbauarbeiten zur Verfügung gestellt. Letztlich getragen wird das Projekt aber von einer Gruppe meist ehrenamtlicher Aktivisten.
Joachim ist einer davon, der 51-jährige Handwerker verlegte Böden und machte den Innenausbau. »Das ist doch ein interessantes Projekt«, sagt er und deshalb hat er 25 Arbeitsstunden gespendet, ansonsten arbeitete er zu reduziertem Lohn. Auch Lauritz ist mit dabei, prüft gerade einen Stromanschluss. Eigentlich ist der Berliner von Beruf Arzt, aber er habe sich eine Auszeit genommen.
 
Das Grandhotel kennt neben den Hotelgästen und den Asylbewerbern auch noch eine dritte Gruppe von Bewohnern: die Kreativen. Zu ihnen gehört Martin Beckers, der sein Geld mit dem Bau von Architekturmodellen verdient. Er kommt jeden Tag ins Hotel und kann sich vorstellen, hier eines Tages mit den anderen Kollegen ein gemeinsames Atelier zu schaffen. Als »Artist in Residenz« bezeichnet er sich, wenn er in seinem Atelier im EG »spielerische Architekturmodelle« entwirft und den Kindern der Asylbewerber das Schnitzen oder Bastelkunststücke beibringt.
»Das hier ist ein gesellschaftliches Labor«, meint Sebastian Kochs, einer der Initiatoren des Projekts. Ihm geht es um eine neue Form des Miteinanders, um neue Wege. Flüchtlingsunterkünfte werde es auch in Zukunft geben, warum nicht in der Form des »Grandhotels«, eingebunden in Kunst, Kommunikation und gemeinsames Wohnen. ›
› Das Projekt basiert auf ehrenamtlicher Tätigkeit, etliche Teilnehmer sind dafür quasi aus ihrem »bürgerlichen« Leben ausgestiegen, Kochs selbst war zuvor Mitarbeiter des Stadtjugendrings. »Ich bin selbst überrascht, dass wir das zwei Jahre lang durchgehalten haben«, sagt er. Nicht unproblematisch ist dabei die doppelte Struktur, die sich jedenfalls gefühlsmäßig herausgebildet hat: Für die Flüchtlinge und ihre Unterkunft fühlen sich sowohl die Projektgruppe als auch die Bezirks-Regierung von Schwaben verantwortlich.

Dezentral und Fliessend

Und wie kann ein derartiges soziales Wohn- und Arbeitsprojekt wie das Grandhotel Cosmopolis mit wechselnden Teilnehmern überleben und funktionieren? Indem man sich nicht an klassische Organisationsformen klammert, so die Antwort von Architekt Adamczyk, sondern innerhalb der Gruppe einen internen Informationsfluss organisiert, der je nach Bedarf die Menschen einbindet. Die Grundlage dafür ist die Partizipation, bei der sich Kreative sowie die Hotelgäste mit und ohne Asyl mit ihren Ideen einbringen. Möglich wird diese Teilhabe durch eine offene und einfache Kommunikation, die auch über soziale Netzwerke funktioniert und so zur Mobilisierung von engagierten Menschen beiträgt. Manche kommen und arbeiten eine zeitlang mit, um dann wieder etwas anderes zu tun. Andere werden als Experten aktiv, wenn es bestimmte Probleme zu lösen gilt. Adamczyk: »Das ist wie ein offenes System, wie ein Fließen.«

Das Grandhotel Cosmopolis hat mittlerweile eine große mediale Resonanz gefunden, das Konzept der Zusammenführung verschiedener Gruppen stößt auf Interesse, auch aufgrund der sich zuspitzenden Flüchtlingssituation. Inwiefern es sich zur Nachahmung eignet, hängt freilich von den örtlich vorhandenen Ressourcen ab, von der Bereitstellung entsprechender Gebäude und – als Grundvoraussetzung – von der Bildung entsprechender Kollektive engagierter Menschen. 

  • Standort: Springergässchen 5, 86152 Augsburg

    Bauherr: Diakonisches Werk Augsburg e.V.
    Betreiber: Grandhotel Cosmopolis e.V.
    Genehmigungsplanung und Baubegleitung: Michael Adamczyk, Architekt und Stadtplaner, Augsburg
    Gestaltung und Realisation: viele Menschen, die am partizipativen Prozess beteiligt waren oder sind, und denen Dank für Motivation, Unterstützung und Sponsoring gebührt
    Nutzfläche: 2 700 m² – 27 Doppelzimmer »wohnen mit asyl«: 800 m², 5 Vier-Bettzimmer (Hostel) + 13 Doppelzimmer »wohnen ohne asyl«: 400 m²; 11 Einzelateliers + 1 Gemeinschaftsatelier: 280 m²; Gastronomie: 540 m²; Gemeinschaftsflächen (Technik, Erschließung, Büro, u. a.): 620 m²
    Baukosten: keine Angabe
    Projektstart: Sommer 2011, Baubeginn: Oktober 2011, Einzug der ersten Bewohner: Juli 2013,
    Hoteleröffnung: Oktober 2013, Ausbau dauert an. www.grandhotel-cosmopolis.org
1 Küche 2 Gastraum 3 Café-Bar 4 Empfang 5 Atelier 6 Gemeinschaftsküche

Augsburg (S. 22)

3799368

Michael Adamczyk

Architekturstudium an der FH Augsburg, 1996 Diplom. Mitarbeit in Architekturbüros in München und Augsburg. Seit 2010 eigene Projekte, seit 2012 eigenes Büro. 2014/15 Lehrauftrag an der Hochschule Augsburg. Gründungsmitglied im Architekturforum-Augsburg.de.
Rudolf Stumberger
Studium der Kommunikationswissenschaft und Soziologie in München und Frankfurt. Hospitanz beim Bayerischen Rundfunk. 1989 Gründung des Münchner Pressebüros. Redakteur bei Zeitschriften und Tageszeitungen.
 
 
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