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Rieglerhof in Bozen-Leifers (I) von Martin Riegler (areum architecture)

Rieglerhof in Bozen-Leifers (I)
Unter Brüdern

Vor den Toren Bozens hat Martin Riegler für seinen jüngeren Bruder ein hybrides Zuhause geschaffen. Der Rieglerhof ist Familiendomizil und Wirtschaftsgebäude in einem. Außerdem zeigt sich in dem Debut des jungen Architekten eine unverkrampfte Auffassung von zeitgemäßer Architektursprache.

    • Architekt: Studio areum architecture
      Tragwerksplanung: Schrentewein & Partner

  • Kritik: Klaus Meyer
    Fotos: Gustav Willeit
Was »modern« heute auch immer bedeuten mag, die Rieglerbrothers scheinen es zu sein – jedenfalls nach allem, was man so im Internet über sie herausfinden kann. Demnach gehören die Brüder Martin und Florian Riegler zu den Stars der internationalen Kletterszene. Sie unternahmen waghalsige Erstbegehungen in den Alpen, im Himalaya und in den Rocky Mountains, erhielten diverse Preise für ihre Touren und wirkten 2012 in einem Dokudrama über Reinhold Messner mit. »Always climbing« lautet der Claim, unter dem sich die jungen Draufgänger vermarkten. Cool, smart und erfolgreich: Moderner geht’s nicht. Aber zu welcher Form findet solch jugendlich unbekümmerte Modernität, wenn sie sich architektonisch ausdrückt? Das ist die spannende Frage, die einen während der Fahrt zum Rieglerhof beschäftigt. Um sie zu beantworten, muss man das Wohn- und Wirtschaftsgebäude, das Martin Riegler (35) für seinen Bruder und dessen Familie entworfen hat, freilich erst einmal finden.
Der Bozener Talkessel ist weit und eben. Hier rahmen die Berge das Bild noch, beherrschen es aber nicht mehr. Im weiten Umkreis der Autobahnausfahrt Bozen-Süd ist es die gläsern-metallene Unternehmenszentrale des Funktionsbekleidungsherstellers Salewa, die das Bild prägt; weiter geht es in Richtung Schloss Sigmundskron, das stolz auf einem Ausläufer des Mittlerbergs thront. Aber der Weg führt letztlich nicht in die Berge hinauf, sondern mitten hinein ins Reich von Gala, Pink Lady, Jazz, Fuji und Braeburn. So heißen die Apfelsorten, die auf den Plantagen am flachen Ufer der Etsch angebaut werden. Die insgesamt riesige Anbaufläche ist unterteilt in lange, schmale Streifen, und einige davon bewirtschaftet der Obstbauer und Winzer Florian Riegler. Auch sein Domizil steht auf einer dieser kleinbäuerlichen Parzellen.
Vom Berg zum Bau
Von der Straße aus sieht man den Neubau nicht, weil er von einem alten Bauernhof verdeckt wird: Martin Rieglers Elternhaus, in dem er mit Frau und Tochter wohnt und sein Architekturbüro areum betreibt. Studiert hat er in Graz und Barcelona, seine Staatsprüfung legte er 2013 in Venedig ab, der Rieglerhof ist sein Debut als Architekt. »Gleich nach dem Examen sind wir zu einer Klettertour nach Pakistan aufgebrochen, wo wir die Baupläne für das Haus meines Bruders erörtert haben«, sagt Martin, das Töchterchen Aurelia auf dem Arm. Ein moderner Vater, allem Anschein nach. Cool, smart und darüber hinaus ungemein sympathisch.
Nach der Rückkehr aus Pakistan im November habe man die letzten Äpfel gepflückt und danach die Bäume auf dem Bauplatz gefällt, erzählt er. Bereits im August 2014 konnten Florian und Juliane Riegler mit ihren Kindern Noah und Laura das neues Heim beziehen. Die Familie wohnt im OG des Gebäudes.
Im EG wird das zentral gelegene Treppenhaus von Garagen für Autos und Traktoren, Stellplätzen für landwirtschaftliche Geräte, einer Werkstatt und Lagerräumen flankiert. Die Verteilung der Funktionen hat der Architekt durch unterschiedliche Bauweisen und Materialien verdeutlicht. Der Wirtschaftshof ist ein Massivbau aus Stahlbeton, der Aufbau eine mit Lärchenbrettern bekleidete Holzrahmenkonstruktion. Der Ortbeton des Unterbaus wurde bewusst roh und rau belassen. »Putz braucht es hier nicht«, sagt Martin Riegler und ergänzt: »Was ich nicht brauche, ist hässlich.«
Form follows function
Warum er Wirtschaftsgebäude und Wohnhaus übereinander gestapelt hat? Der Boden sei wertvoll, sagt er und macht eine weit ausholende Handbewegung. Überall stehen Apfelbäume. Sie drängen sich rechts und links bis an die Grundstücksgrenzen. Und den Platz hinterm Haus besetzen sie auch. Von wegen weites Land! Tatsächlich ist der Boden hier knapp. Die Sache mit dem Stapeln versteht sich so gesehen von selbst.
Auch die geometrischen Eigenheiten des Entwurfs leuchten schnell ein, weil alle formalen Entscheidungen aus funktionalen Erwägungen heraus getroffen wurden. Aus zwei Gründen hat Martin Riegler z. B. den Holzbau über den Betonbau hinaus nach Norden zurückversetzt: Auf diese Weise entstand im Norden ein dringend benötigtes Vordach, unter dem Wagen und Geräte Platz finden; im Süden ließ sich die durch die Verschiebung gewonnene Dachfläche als Terrasse nutzen. Auch die schräge Südfassade des Aufbaus ist alles andere als ein formaler Gag: Das hinter der angewinkelten Front gelegene Wohnzimmer öffnet sich mit einer raumbreiten Fensterfläche nach Sigmundskron zur Sonne.
Bürgerliches Schauspiel
Den Übergang von der Welt der Arbeit zum Reich der Familie hat der Architekt unspektakulär, aber prägnant in Szene gesetzt. Eingangsflur und Treppenhaus gehören vom Ausdruck her noch ganz zum Wirtschaftsgebäude. Unterstrichen wird der raue Charakter durch die Stahlgitterroste der zweiläufigen U-Treppe, die zum OG hinaufführt. Die hölzerne Wohnungstür markiert die Grenze. Dahinter liegt eine helle, geräumige Wohnung, die bestens auf die Bedürfnisse der vierköpfigen Familie zugeschnitten ist. Die Fensterrahmen aus Lärchenholz und ein durchgängiger Eichenboden sorgen für eine angenehme Atmosphäre. Der offene Wohnbereich mit Küche, Essplatz und dem Freisitz davor bietet reichlich Platz für gemeinsame Aktivitäten. Alles stimmt, sogar die Energiebilanz und die Perspektive: Martin Riegler hat ein Klimahaus der Klasse A errichtet, dessen begrüntes Flachdach eine spätere Aufstockung des Gebäudes erlaubt. Und die Extravaganz? Soll man sich darüber beschweren, dass dem brutalistisch rauen Vorspiel im Unterbau ein eher bürgerlich braves Schauspiel auf der Wohnbühne folgt? Ach was. Das Hybride am Rieglerhof macht gerade den Reiz dieser Architektur aus. Expressiver Überschwang, zweckrationale Beherrschung und pragmatische Kompromissbereitschaft fügen sich hier zu einem adäquaten Ausdruck unserer seltsam zerrissenen Zeit. Und was soll »modern« auch anderes bedeuten als zeitgemäß? 

  • Standort: Bozen-Leifers Bauherr: Florian Riegler
    Architekt: Studio areum architecture, Bozen: Martin Riegler
    Tragwerksplanung: Schrentewein & Partner, Bozen
    Vermessung und Kataster: Martin Kofler, Eppan
    Planung Haustechnik: Michael Ruedl, Kaltern
    Nettofläche Wohnen: 160 m²
    Volumen Wohnen: 676,31 m³
    Volumen Landwirtschaft: 827,75 m³
    Baukosten: 525 000 Euro
    Bauzeit: Dezember 2013 bis Juli 2014
  • Beteiligte Firmen:
    Betonbau: Baugesellschaft Perkmann, Moelten
    Dachbegrünung: Climagrün, Bozen, www.climagruen.it
    Holzbau und Türen: Aster Holzbau, Jenesien, www.aster-holzbau.com; Fermacell, Grassobbio, www.fermacell.it; Velux, www.velux.it
    Fenster: Quelle Fenster, Feldthurns, www.quellefenster.com
    Beschattung: Hella, Abfaltersbach, www.hella.info
    Tore: Bausystem, Branzoll, www.bausystem.it/de/intertor
    Treppe, Geländer: Schlosserei Geier Michael, Terlan, www.schlosserei-geier.it
    Elektroinstallationen: Erich Karbon, Kastelruth; BTicino, Varese, www.bticino.it, Berker, Blieskastel, www.berker.de Haustechnik: Ruedl Hans, Kaltern, www.ruedl.it; Drexel und Weiss, Wolfurt, www.drexel-weiss.at
    Küche: Häcker Küchen, Rödinghausen, www.haecker-kuechen.com
    Fußböden: Hafro Holzagentur, Eben im Pongau, www.hafro.com

Studio areum architecture

38432132

Martin Riegler
1980 in Bozen geboren. Ausbildung zum Tischler und zum Holztechniker. Architekturstudium an der TU Graz (A) und der Universitat Politècnica de Catalunya in Barcelona (E). 2013 Bürogründung areum architecture.
 

 


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