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Bewährte Postmoderne: Die Neue Pinakothek in München steht einfach gut da

… in die Jahre gekommen
Neue Pinakothek in München

Die Neue Pinakothek steht einfach gut da – umstanden von alten Bäumen hält sie sich gegenüber Leo von Klenzes Alter Pinakothek zurück. Dabei war es gar nicht so einfach, das um die Funktionen Verwaltung, Forschung und Restaurierung erweiterte Raumprogramm am historischen Ort unterzubringen. Der bei seiner Fertigstellung heftig umstrittene Bau hat sich inzwischen mehr als bewährt. Seine zwanglose barrierefreie Erschließung ist bis heute unerreicht vorbildlich. Darüber hinaus scheint der Bau kaum gealtert. Von welchem der grandios auftrumpfenden Museumsbauten der letzten Jahrzehnte ließe sich das sagen?

    • Architekt: Alexander von Branca

  • Text: Ira Mazzoni
    Fotos: Waltraud Krase, Leandro Mazzoni
Man werde sich an den Bau gewöhnen, »ähnlich wie man sich an den barbarischen Pseudoklassizismus des Hauses der Kunst gewöhnt hat«, prophezeite der Kritiker der Süddeutschen Zeitung, Christoph Hackelsberger, anlässlich der Eröffnung der Neuen Pinakothek im März 1981. So vernichtend wie Alexander von Brancas »Bilderburg« ist kaum ein Museumsneubau kritisiert worden. Die neue »pathetische Monumentalität« und die »Steinhemdkonstruktion« über den Betonwänden des in Skelett- und Schottenbau- weise errichteten Komplexes befremdeten ebenso wie die »Schreinerdekorationen« der Rundbogenfenster, die »Kupferapplikationen« der Erker und die »unsäglichen Burgtreppen« (siehe db 1/82). Bissig resümierte Gottfried Knapp im Lufthansa Magazin: »Der Zwitter, der sich dabei langsam vor dem Münchner Passantenpublikum aufblähte, partienweise wie eine Haremsarchitektur lächelnd, anderswo wie eine Stauferburg trotzig blickend, zog sich bald den Spott der Münchner zu.« Der Spott ist längst vergessen und das Publikum hat sich nicht nur an den Bau gewöhnt, sondern weiß seine Qualitäten zu schätzen: seine souveräne Gelassenheit, seine stadträumliche Verbindlichkeit und seine menschenfreundliche Bequemlichkeit.
Der Maßstab war und ist Leo von Klenzes Alte Pinakothek. Ab 1846 ließ König Ludwig I. von Bayern von Architekt August von Voit parallel zur vorbildlichen Galerie alter Meister ein Museum für »Gemälde aus diesem und aus künftigen Jahrhunderten« errichten. Die 1853 eröffnete Neue Pinakothek war das erste öffentliche Museum für zeitgenössische Kunst. Obwohl im Zweiten Weltkrieg weniger zerstört als die Alte Pinakothek wurde Voits schmuckloser Bilderschrein abgerissen. 1966 entschied sich der Freistaat zum Neubau auf dem verwaisten Terrain. Für die Neuauflage der Neuen Pinakothek, die nun nicht nur die Malerei des 19. Jahrhunderts, sondern auch die Staatsgemäldesammlung moderner Kunst sowie die Staatliche Graphische Sammlung beherbergen sollte, gab es nur einen Richtwert: die Alte Pinakothek, inzwischen nach Plänen von Hans Döllgast wieder aufgebaut (1952–58). Döllgast hatte den Eingang vom Ostrisaliten ›
› an der Barer Straße in die Mitte der breiten Nordfassade verlagert. Dieses neue Entree blieb nicht ohne Auswirkung auf die Planung des Vis-à-vis: Gesucht war nicht mehr eine nachbarliche Parallele an der Barer Straße, sondern ein Gegenüber jenseits der Theresienstraße. Die Unterbringung dreier unterschiedlicher Sammlungen schloss einen strukturellen Gleichklang der Häuser von vornherein aus: Der Raumbedarf ging weit über einen schmalen Riegel hinaus. Bezüglich der Anlage der Ausstellungsräume hatte der Auslober klare Vorstellungen: Statt einer Raumflucht wie in der imperialen Alten Pinakothek wünschte man sich eine Zellenbildung von Sälen und Kabinetten. Aus konservatorischen Gründen wurden hauptsächlich Oberlichtsäle gefordert, wie sie in der Alten Pinakothek vorgebildet waren. Neu war die Anregung, Loggien und Innenhöfe anzubieten, um den Museumsrundgang mit entspannenden Außenbezügen aufzulockern.
278 Architekten beteiligten sich an dem bundesweit ausgeschriebenen Ideenwettbewerb. Das Preisgericht unter dem Vorsitz von Egon Eiermann sprach sich einstimmig für den Entwurf des Münchner Architekten Alexander von Branca aus und hob in seiner Begründung die »ausgewogene Höhenentwicklung und Einordnung in das Gelände und im Verhältnis zur Alten Pinakothek« hervor. Von Branca hatte für die drei Museen stattliche Betonkuben um einen gemeinsamen Eingangsbereich gruppiert, der seine Fühler in Richtung Alte Pinakothek ausstreckte. Zahlreiche Vor- und Rücksprünge in der Fassadenlinie und entsprechende Höhenstaffelungen der Sheddächer gaben dem Entwurf ein skulpturales Profil. »Dem differenzierten äußeren Aufbau entspricht die erlebnisreiche innere Raumfolge. Vor allem verdient der Wechsel zwischen Museums-, Hof- und Freiräumen Anerkennung«, lobte die Jury.
Die Auftragserteilung erfolgte 1973 unter veränderten Bedingungen. Die Staatsgemäldesammlung moderner Kunst und die Graphische Sammlung schieden aus dem Raumprogramm aus, stattdessen sollten die Generaldirektion der Staatsgemäldesammlungen, das Doerner Institut und die Restaurierungsabteilung in den um ein Drittel erweiterten Neubau integriert werden, der so weniger Museum als Kunstzentrum wurde. Dass die »Verwaltung« so viel Raum bekam, die Neue Pinakothek für historische Kunst reserviert wurde und Moderne, Gegenwart und Zukunft auf unabsehbare Zeit im Haus der Kunst verblieben, verstimmte die Kritiker erheblich.
Als Alexander von Branca sich dann noch entschloss, dem Sammlungsschwerpunkt architektonisch zu entsprechen und den voluminösen Schottenbau mit historisierenden Elementen zu überspielen, galt das vielen als Verrat an der Moderne. Die Stimmung war gereizt, der Funktionalismus in der Krise, die Postmoderne begann ironisierend Abstand zu nehmen. Die Denkmalpflege feierte ihr erstes internationales Jahr, die Kunstgeschichte begann mit einer Revision des Historismus. Und Alexander von Branca bekundete selbstbewusst: »Ich bin der Meinung, dass es nun an der Zeit ist, den Schritt aus der Unverbindlichkeit herauszutun, wohl wissend, dass solches Kritik fordern soll und muss«, und unterstrich, »dass der erstrebenswerte und von mir erstrebte Zusammenklang zwischen Kunstwerk und Bauwerk auf keinen Fall durch falsche Anbiederung in architektonischer oder museumspädagogischer Hinsicht erreicht werden darf oder kann. Eine Harmonie zwischen Bau und Exponat zu erzielen, ist gleichwohl eine umfassende gestalterische Aufgabe.« War es so falsch, die Aufgabe städtebaulich ›
› »malerisch« im Sinne des 19. Jahrhunderts anzugehen und eine neoromantische Architecture parlante zu schaffen, die Schätze birgt, statt sie auf den Marktplatz zu stellen?
einst geschmäht – heute geschätzt
Im täglichen städtischen Leben bewährt sich die Neue Pinakothek als Oase der Ruhe. Keine Mittagspause – gutes Wetter vorausgesetzt –, in der nicht Mitarbeiter des Museums, Touristen, Studenten und Nachbarn auf den Stufen der Brunnenanlage Schatten, Erholung und Erfrischung suchen. Von hier senkt sich der Weg zum Café und leitet den barrierefreien Rundgang durchs Haus ein. Der Haupteingang liegt, um einige Stufen erhöht, dem der Alten Pinakothek gegenüber; ein Sakrileg in einer Zeit, die Schwellen um jeden Preis abbauen wollte. Vom mächtigen Foyer gelangt der Museumsbesucher ebenerdig in die ersten Ausstellungssäle, die in Form einer liegenden Acht um zwei Innenhöfe gruppiert sind. Nach der halben Wegstrecke hat er, nach jedem zweiten bis vierten Saal ein paar Stufen ansteigend, die Empore über dem Foyer erreicht, um von dort durch weitere Säle gemächlich zum Eingang hinabzuwandeln. Eine hofseitig begleitende Rampe hilft dabei nicht nur Rollstuhlfahrern, die Zwischenstufen zu umgehen. Wem der selbstverständliche Rundweg zu lang ist, kann abkürzen. Wer ein bestimmtes Gemälde sucht, findet es, ohne alle Säle durchschreiten zu müssen. Die Restauratoren und Hängeteams kommen mit ihren Bilderwagen rumpelfrei und ohne Aufzüge in alle Räume. Diese als »düsterer Wehrgang« diffamierte Rampe ist kein diskriminierender Sonderweg, sondern Kern einer wegweisenden Museumserschließung. Die Rampe bildet gleichzeitig einen klimatischen Puffer zwischen den Ausstellungssälen und den Außenwänden. Schade nur, dass die inzwischen eingewachsenen Innenhöfe nie fürs Publikum geöffnet werden konnten, weil das Museumsklima beim ersten Luftzug »zusammenbricht«.
Im Gespräch mit dem neuen Baubeauftragten der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, Christian Nippert, gewinnt man den Eindruck, von Branca habe ein nahezu perfektes Museum geschaffen. Die kreuzungsfreie Acht sei »optimal für die Besucherführung«; die hohen Depots im Gebäudekern konservatorisch sinnvoll; das direkte – 1981 so sehr gescholtene – Nebeneinander von »Verwaltung« und Museum, das heißt, von Wissenschaft, Forschung, Konservierung und Ausstellung unter einem Dach ist nur von Vorteil. Allerdings: »Die Anlage ruht in sich, sie ist nicht erweiterbar«. Es gibt inzwischen akute Raumnot. Die Neue Pinakothek ist das Zentrum aller Staatsgemäldesammlungen. Für die Pinakothek der Moderne wurden neue Mitarbeiter eingestellt. Auch die Sammlung Brandhorst wird weitgehend von der Neuen Pinakothek aus betreut. So fehlen Büros, Depots und Restaurierungsateliers, zumal die von Stefan Braunfels geplante Randbebauung um die Pinakothek der Moderne wohl noch eine Weile Fiktion bleibt.
Trotz Millionen von Besuchern und täglichem Reinemachen steht die Neue Pinakothek nach fast dreißig Jahren tadellos da. Sie zeigt keine Schrammen und Blessuren. Das Parkett aus Räuchereiche musste noch nicht einmal abgezogen werden und die Natursteinböden sehen aus wie neu. Im Entree wurde die Kasse vergrößert und verschoben, der Museumsshop erweitert und die Garderobe ins Untergeschoss verdrängt, um den gewachsenen Ansprüchen des Publikums gerecht zu werden. Ansonsten blieb alles weitgehend beim gepflegten Alten. Allein zum 150. Geburtstag der Neuen Pinakothek im Jahr 2003 hat der Generalmuseumsdirektor Reinhold Baumstark für eine farbintensive neue Textilbespannung der Ausstellungssäle gesorgt und zusammen mit dem Büro Branca den ehemals für die Romantiker der Sammlung Schäfer bestimmten Saal 6 für die restaurierten enkaustischen Griechenland-Veduten Carl Rottmanns umbauen lassen. Mit der Begründung, die Rottmann-Bilder hätten in der Voitschen Neuen Pinakothek eine herausragende Position am Ende der Enfilade gehabt, wurde einer der apartesten Räume von Brancas zu einem grau-steinernen Geviert zusammengestutzt. Durch den Abbruch der Galerie, verlor auch das für Kleinplastiken bestimmte Außenkabinett an Breite und Funktion. So ein Eingriff schmerzt, zumal nicht sicher ist, ob ein kommender Museumsdirektor nicht die Sammlungsbestände neu ordnen möchte – womöglich unter Hinzunahme der Moderne.
Die Solidität der Detailplanung und der Ausführung haben sich ausgezahlt. Ein konstruktiver Fehler musste behoben werden. Von Branca hatte aus ästhetischen Gründen auf eine Abdeckung aller Mauerkronen verzichtet. Die abgerundeten Granitabschlüsse leiteten das Regenwasser direkt auf die mit grünem Donausandstein verkleideten Wände. Der Stein wurde nie ganz trocken, Flechten wuchsen, schwarze Ablaufspuren wurden sichtbar. Heute haben die Mauern kaum wahrnehmbare Kupferabdeckungen mit Tropfnasen und der Stein ist gereinigt und hydrophobiert. So kann das kritisierte »Steinhemd« wieder seine natürliche, unaufdringlich lebendige Farb-Schönheit zur Schau tragen. In den kommenden Jahren steht eine Erneuerung der bereits museumsreifen Brandschutz- und Klimatechnik an. Und irgendwann sollen auch die prägenden Sheddächer saniert werden. Ihre Wärmedurchlässigkeit ist viel zu hoch. Wann und ob die drei Meter hohen Fensterfronten der Büros und Ateliers eine Wärmeschutzverglasung erhalten, bleibt allerdings offen. Indes wächst die Museumsfamilie in München im Vertrauen auf die Funktionstüchtigkeit der gar nicht randständigen Neuen Pinakothek. •
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