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Lukratives Heiraten

White Chapel, Hyatt Regency, Osaka (J) Und KaPELle Des SETRE HOTELs, Kobe (J)
Lukratives Heiraten

In Japan sind seit einiger Zeit kirchliche Trauungen als gesellschaftliche Ereignisse im Trend. Längst bieten Hotels Pauschalangebote in schnell dekorierten hoteleigenen Kapellen an, Bankett und Hochzeitssuite inklusive. Die Hochzeitskapellen in Osaka und Kobe zeigen, dass auch in diesem Kontext räumliche Qualitäten jenseits religiöser Rhetorik möglich sind.

{ Aus dem Englischen von Elisabeth Plessen

  • Architekten White Chapel: Jun Aoki & Associates Architekten Setre Chapel: Ryuichi Ashizawa Architects
  • Text und Fotos: Sergio Pirrone
Die japanische Kultur und damit die japanische Gesellschaft ist für Außenstehende meist nur schwer zu verstehen. Ihr heutiges sozio-kulturelles Selbstverständnis erscheint als fragiles Gleichgewicht aus scheinbar unüberwindlichen Widersprüchen und Zwiespältigkeiten. Nach den Verheerungen des Zweiten Weltkrieges richteten sich alle Kräfte auf die Modernisierung des Landes. So fortschrittlich und erfolgreich die Japaner auf den Gebieten von Technologie und Organisation agieren, so oft zeigen sie, wenn es um Einflüsse aus anderen Kulturkreisen geht, eine sehr kindlich-unkritische Haltung. Wenn es unter ökonomischen Gesichtspunkten profitabel und für den eigenen sozialen Status wichtig erscheint, werden kulturfremde Verhaltensweisen oder Traditionen freudig übernommen, seien es Valentinstag, Weihnachten, Halloween, Ostern oder auch Thanksgiving. So haben sich ganze Industriezweige etabliert, die trendgierig fremde Riten und Gebräuche aufgreifen, unkritisch gegenüber deren kulturellem Hintergrund und ohne inhaltliche Verankerung in der eigenen Gesellschaft. Die fehlende Sinnhaftigkeit wird dabei häufig durch eine übersteigert zelebrierte »Ausführung« überdeckt, die sich in dekorativ-kostspieligen Formalien ergeht. ›
› Christliche Hochzeitsfeiern in einem Land, in dem es zwar viele Religionen aber fast keine bekennenden Christen gibt, sind ein Phänomen dieses Verhaltens; ein Ereignis von hohem Erinnerungswert und einer imponierenden, ästhetisch ansprechenden Inszenierung. Außerdem kommen sie der Faszination für kulturfremde Adaptionen entgegen, ohne mit traditionellen japanischen Werten zu kollidieren. Hier hat sich ein Milliarden Yen schwerer Markt etabliert, sorgfältig organisiert von Hotels und Reiseveranstaltern, mit Komplettangeboten und Servicepaketen für jeden Wunsch – falsche Geistliche inklusive.
Fast alle größeren Hotels in Japan besitzen mittlerweile glitzernd-gleißende Räumlichkeiten, die mit leicht »lesbaren« Symbolen ausgestattet als Kapellen »firmieren«. Darüber befinden sich Bankettsäle für die anschließenden Feierlichkeiten. Und etwas weiter oben dann Übernachtungssuiten für die Feiernden.
Katholische Trauungen sind augenblicklich genauso »in« wie Louis-Vuitton-Taschen und Schuhe von Prada, und die hiermit zu verdienenden Gelder derart lukrativ geworden, dass Investoren im Wettbewerb untereinander mittlerweile Architekten und Designer mit den Entwürfen immer spektakulärerer »Kapellen« beauftragen.
Auch Jun Aokis White Chapel und die Setre Chapel von Ryuichi Ashizawa sind Resultate dieses gesellschaftlichen Phänomens, stellen jedoch zwei herausragende Ausnahmen dar. Beide liegen nur wenige Kilometer voneinander entfernt in der Präfektur Hyogo in der Kansai-Region im Herzen Japans und sind Teile sehr bekannter Hotelanlagen. Die zum Hyatt Regency im Golf von Osaka gehörende White Chapel und die Setre Chapel, ein Anbau des Hotels gleichen Namens, unterscheiden sich nicht nur in der Konstruktion, sondern auch in ihrer Entstehungsgeschichte und den sehr unterschiedlichen konzeptionellen Ansätzen. Trotzdem gibt es Gemeinsamkeiten, die beide aus dem zuvor bezeichneten Hochzeitszirkus herausheben. Wollte man den Unterschied pointiert auf einen Punkt bringen, dann ließe sich die White Chapel als fast femininer Bau charakterisieren: introvertiert, narzisstisch, stolz auf ihre selbstverständliche »Schönheit«. Setre hingegen lässt fast männlich die Muskeln spielen; hinter einer Brücke gelegen, ausgerichtet auf die See, erhebt sich der Bau über das Gelände und fällt durch seine kraftvolle Erscheinung auf.
Gemeinsam ist beiden die konzeptionelle Ausrichtung auf den Lauf des Tageslichtes und die daraus gewonnene Vielfalt von unterschiedlichen Erscheinungsformen. Beide verwandeln sich nachts in helle Lichtkörper und beide haben einen klaren Bezug zum Wasser, sei es das Meer oder ein künstlicher Teich.
White Chapel
Die White Chapel liegt an einem künstlichen Teich neben dem Hotel. Im Grundriss zeigt sie ein unregelmäßiges, längs gezogenes Siebeneck. Kapelle und Hotel sind durch eine kleine Brücke verbunden. Die räumliche Anordnung zueinander inszeniert Gegensätzlichkeiten: die großzügige Weite der Landschaftsgestaltung, die die Kapelle umgibt, den engen Eingangsbereich mit zwei kleinen Nebenräumen und die große Halle, die als ungleichmäßiges Viereck ausgebildet ist.
Weiße Marmorfliesen und weiße Decken bilden die klaren Raumbegrenzungen, zwischen denen sich die ebenfalls weißen Seitenwände scheinbar aufzulösen beginnen. Die hölzernen Bänke wirken wie zurückgelehnt und als seien sie in dieses transparente Gefüge hineingespült worden.
Jun Aoki hat sich längst einen Ruf als Meister der Entwicklung neuer, meist dreidimensionaler Oberflächen erworben. Sein Interesse gilt der Komposition von »Schichten« unterschiedlicher Materialien, die er auf eigenwillige und neue Weise zusammenfügt. Die »Haut« der White Chapel schließt nach außen hin mit einer Glasschicht ab, darauf folgt eine komplexe Konstruktion aus weißen Stahlringen mit einem Durchmesser von jeweils etwa sechzig Zentimetern, den Innenraum begrenzen zwei Lagen feinen, weiß gemusterten Baumwollstoffs. Die Struktur der mittleren Schicht basiert auf aneinandergereihten Einzelelementen, die sich jeweils aus vier untereinander verbundenen Ringen zusammensetzen. Geometrisch betrachtet lassen sich die Ringe den Flächen eines regelmäßigen Tetraeders einbeschreiben. Diese Art der Anordnung eines räumlichen Tragwerks fand in der White Chapel erstmals seine Anwendung in der Architektur. Im Zusammenspiel zwischen der äußeren Glasschicht, der Ringkonstruktion und dem leichten Gewebe ist eine Hülle entstanden, die im wechselnden Tageslicht und je nach Sonneneinstrahlung den Raum verändert und unterschiedliche Tiefenempfindungen hervorruft. Zu Zeiten scheint sich die Wandfläche im Licht aufzulösen, zu anderen erscheint sie zweidimensional verfestigt. Eine integrierte Beleuchtung lässt die Kapelle im abendlichen Dunkel erstrahlen und sich im Wasser widerspiegeln.
Während das geschäftige Treiben des Hotels sie umspült, scheint in der Kapelle die Zeit stillzustehen, wie von einer abschirmenden Hülle vor dem Lärm der Außenwelt geschützt. Dem Architekten ist es gelungen, dem aus profan-ökonomischen Überlegungen heraus beauftragten »Sakralraum« eine enthobene Feierlichkeit zu verleihen, die bei den Besuchern ihre Wirkung zeigt.
SETRE CHAPEL
Während die White Chapel ihre Wirkung aus dem starken Kontrast zur Umgebung erzielt, nutzt die Setre Chapel ihre Einbettung in die Landschaft. Direkt an der malerischen Küste Kobes bei Seto gelegen, bietet die kleine Kapelle einen atemberaubenden Blick auf die Akashi Brücke und Awajishima. Daraus entwickelte der junge Architekt Ryuichi Ashizawa sein Konzept. Die Kapelle sollte die Schönheit der Landschaft inszenieren und die Architektur zu einem Teil davon werden lassen.
Der Bau ruht auf einer glasumhüllten Betonkonstruktion, die das Foyer und einige Nebenräume aufnimmt. Eine Treppe führt von dort hinauf in den Zeremonienraum, dessen oberer Raumabschluss leicht ansteigt und die Kapelle somit zum Himmel über der See ausrichtet. ›
› Von außen ist die Sichtbetonfassade mit einer wie wolkig getupft aufgetragenen Farbschicht überzogen, deren unregelmäßige Struktur mit dem Himmel korrespondiert. Innen erfolgt die eigentliche Inszenierung: Nach Aufstieg ins Obergeschoss und dem Durchschreiten der Tür fällt der Blick zuerst auf das von einem einzigen Fester gerahmte gegenüberliegende und wahrlich atemberaubende Panorama. Die vollflächig verglaste Wand gibt den Blick frei auf See, Himmel, Brücke und die Uferpromenade mit Palmen. Bildlich lässt sich die zweite Ebene mit einer Augenhöhle vergleichen, mit einem großen Fenster als durchscheinender Pupille. Nichts im Inneren lenkt vom Ausblick ab. Wände, Decke und Boden erstrahlen als rein weiße, reflektierende Oberflächen und fangen das Tageslicht ein. Das reduzierte Mobiliar aus Glas oder transparentem Acryl unterstützt die Wirkung.
Seine kontinuierlich wechselnde Farbigkeit erhält der Raum lediglich aus der Reflexion der Umgebungsfarben, die durch das Fenster eingefangen werden und bis in die Tiefe des Raumes dringen. Tageszeit und Wetter verändern diesen Eindruck kontinuierlich. Anders als die eindeutig christlich ausgerichtete White Chapel in Osaka ist die Setre-Chapel in Kobe ein konfessionslos feierlicher Raum. Auch wenn der Bau aus ökonomischen Überlegungen heraus entstand und darin die künftigen Veränderungen von Moden und Nutzungen gedanklich bereits vorweggenommen sind, ist hier ein Raum von einer eindringlich sakralen Qualität entstanden.


  • Architekten White Chapel: Jun Aoki & Associates, Tokio
    Fertigstellung: April 2006
  • Architekten Setre Chapel: Ryuichi Ashizawa Architects & Associates, Osaka
    Fläche: 296,69 m² Bauzeit: Mai bis September 2005
    Auszeichnungen: The 2006 Religious Art & Architecture
    Design Awards; Lighting Technology Award 2006; JCD2006, 2. Preis
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