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Sommerhaus in Wien (A) Loos hätte seine Freude

Sommerhaus in Wien (A)
Loos hätte seine Freude

Ein Kleingartenhaus ist keine Kleinigkeit. Die »Villa Rabenschwarz«, in einer Kleingartensiedlung zwischen zwei Wiener Waldgebieten gelegen, ist große Architektur mit Synergieeffekten, dreidimensionalem Witz und viel Humor. Durch geschickte Kniffe und die Reduktion verschiedener Dimensionen auf das Notwendigste ließen sich alle gewünschten Funktionen innerhalb der vom Baurecht vorgegebenen Abmessungen unterbringen und es entstand dennoch eine gewisse Großzügigkeit.

    • Architektur und Tragwerksplanung: Schuberth und Schuberth

  • Kritik: Wojciech Czaja Fotos: Christoph Panzer
Man muss nur weit genug in den Wienerwald hineinwandern, schon stehen sie alle da mit ihren weißen Bärten und roten Bäckchen und grüßen hinterm Jägerzaun hervor. Die Rede ist von den vielen Hunderten, ach was, Tausenden von Gartenzwergen an der Wiener Peripherie. Und wo ein Gartenzwerg – diese Lektion lernt man als Wiener bereits in den ersten Lebensjahren –, da ist auch der Kleingartenverein nicht weit. In einem ebensolchen namens »Kleingartenverein Michaelawiese«, nur wenige Meter vom Stadtrand entfernt, steht die sehr kleine, aber sehr feine »Villa Rabenschwarz« der Wiener Architektengeschwister Schuberth und Schuberth.
Der Name ist Programm. Die kohlrabenschwarze Erscheinung des Hauses geht nicht auf einen Farbanstrich der Holzfassade zurück, sondern auf die physikalische Veränderung des Materials, und zwar per Feuer. Lange hatte man mit unterschiedlichen Temperaturen und Flämmzeiten experimentiert, bis der gewünschte Verkohlungsgrad erreicht war. Eine abschließende Harzschicht sorgt für Schutz gegen Wind und Wetter.
Beim näheren Hinsehen fällt auf, dass die Fassade trotz hochgradiger Verbrennung viele hübsche technische Details wie etwa vorstehende Laibungsvorsprünge und abgeschrägte Tropfnasen über den Fenstern und Türen aufweist. »Der Fluch und Segen so kleiner Bauaufgaben ist, dass man das Projekt immer bis zum letzten Millimeter durchplanen muss«, sagt Gregor Schuberth. »Einerseits bereitet uns das Spaß, andererseits jedoch ist nie ein Ende in Sicht.«
Die Planung hört nicht beim üblichen Detaillierungsgrad auf, sondern reicht bis zum letzten Möbelstück. Sogar die keramischen Lampenfassungen mit türkis-schwarz gestreiftem Stoffkabel wurden Strich für Strich im CAD gezeichnet, bevor sie den Weg auf die Baustelle fanden. Prinzip Zufall? »Niemals. Nicht bei dieser Projektgröße.«
Raumerlebnis nach Plan
Sehr wohl ein Ende in Sicht ist, sobald man das Haus betreten hat. Denn das gesamte Gebäude wurde auf einer Bruttogrundfläche von nur 35 m² errichtet. So sieht es das Wiener Kleingartengesetz vor, das auch eine Höhenbeschränkung beinhaltet. Allein, trotz überschaubarer Maße wirkt das Haus mit seinen 50 m² Nutzfläche niemals eng. »Wenn man klein baut, dann kann man nicht ein großes Einfamilienhaus auf Miniaturformat schrumpfen, dann muss man neu denken und räumliche, bzw. funktionale Synergieeffekte schaffen«, meint Johanna Schuberth. »Dann ist ein Bad eben niemals nur Bad, sondern vielleicht auch mal Wohnzimmer, dann wird die Treppe zum Stauraum, dann zelebriert man Großzügigkeit und Offenheit dort, wo man es am wenigsten erwartet.«
Zentrum des Hauses ist eine kompakte Box mit Nasszelle, Küchenzeile und Aufgang in den ersten Stock. Während die Außenwände auf ihrer Innenseite hell lasiert wurden und die Struktur des Holzes (Dreischichtplatten aus Fichte) deutlich erkennen lassen, wurde die Einheit in der Mitte des Hauses rundherum mit dunklen Siebdruckplatten bekleidet. Das räumliche Konzept ist auf Anhieb verständlich. »Dieses Haus im Haus, wie wir den Kern in der Mitte gerne bezeichnen, hat einen ganz bestimmten Grund«, erklärt Johanna Schuberth. »Durch die Möglichkeit, im Kreis zu gehen, nimmt man die Nutzfläche des Hauses psychologisch viel größer wahr. Normalerweise sind solche Umrundungen nur in großen Gründerzeitwohnungen üblich. Hier haben wir uns getraut, diesen Luxus auch auf kleinstem Raum zu zelebrieren.«
Dank der redundanten Wegeführung von der Haustür ins Wohnzimmer – links und rechts am Kern vorbei – besteht die Möglichkeit, einen der beiden Wege bei Bedarf umzufunktionieren. Mit zwei Handgriffen verwandelt sich die kleine Nasszelle mit WC, Waschbecken und Dusche in ein lichtdurchflutetes, mehr als 4 m² großes Badezimmer, Grünblick inklusive. Die Schiebetür, die eben noch WC-Zugang war, entfaltet ihre Doppelfunktion und mutiert zur Vorzimmertür. Die Duschtrennwand wiederum entpuppt sich als ›
› aufklappbarer Türflügel, der das Bad vom Wohnzimmer abtrennt. Ein kleiner Metallriegel sorgt für ungestörte Ruhe. »Ich finde diese Badezimmerlösung großartig«, sagt Mathias Fellner, Bauherr des ungewöhnlichen Miniaturprojekts. Gemeinsam mit seiner achtjährigen Tochter nutzt er das Haus als Wochenendrefugium und abgelegenes, abgeschottetes Homeoffice. »Ein bisschen Querdenken, und schon hat man die gefühlte Größe des Hauses verdoppelt.« Quergedacht wurde auch in der Küche: Indem man den Esstisch auf 90 cm Höhe, mit entsprechend hohen Hockern, anhob, wurde aus der einzeiligen Kochnische eine zweizeilige Küche mit ausreichend Arbeitsplatz zum kollektiven Gemüseschnippeln. Die Küche selbst ist eine einfache Regalkonstruktion, die vom Holzbauunternehmen gleich mitgebaut wurde.
Viele Farben und Materialien treffen hier aufeinander: das Holz, die dunklen Siebdruckplatten, der grün marmorierte Linoleumboden, die türkisfarbene Linoleum-Arbeitsplatte, die roten Filztüren in der Küche – ein Eigenentwurf der Architekten – und nicht zuletzt die vom Bauherrn applizierten bunten Klebeband-Collagen an der Wand. »Die heterogene Farbgestaltung war ein großer Wunsch von mir«, sagt Fellner, von Beruf Grafiker. »Ich mag diese überdesignten, monochromen High-End-Wohnungen nicht. Ich bin ein Freund des Bauhauses und seiner bunten Farben und Materialien. Diese kleinteilige Verspieltheit sollte sich hier widerspiegeln.«
Bunt geht es weiter. Die nur 70 cm breite Treppenschlucht, die nebenbei als Schuhregal dient, ist beidseitig petrolfarben gebeizt. »Im Nachhinein betrachtet ist der Aufgang immer noch zu breit«, meint Architekt Gregor Schuberth. »50 cm wären für dieses Haus völlig ausreichend gewesen. Beim nächsten Haus wissen wir es besser.« Im OG angekommen, entfaltet sich die wohl größte Überraschung der Villa Rabenschwarz. Dort öffnet sich ein Loch, ein relativ gesehen riesengroßer Luftraum über dem Wohnzimmer. Als Brüstung dienen Bücherregale sowie ein in die Konstruktion integrierter Schreibtisch. Man muss schmunzeln: Beim Aktenschrank hat der Bauherr selbst Hand angelegt, hat die Front mit weichen Filztüren geschlossen, hat statt Schloss und Griff ein paar Dufflecoat-Knöpfe aus Horn und Leder angenäht. Unverkennbar hat die freche Kreativität der Architekten Spuren hinterlassen.
»Dieser Luftraum rund um den Arbeitsbereich ist ein zentrales Element dieses Hauses«, sagt Schuberth. »Ich weiß, das würde man in einem Kleingartenhaus nicht erwarten, aber genau deshalb wirkt hier alles so großzügig und offen.« Der einzige Bereich, bei dem man schließlich anerkennen muss, dass auch die beste Kompaktheit an ihre Grenzen stößt, sind die beiden Schlafkojen von Vater und Tochter. Eben meint man noch, sich an die Maßstäblichkeit der Minivilla gewöhnt zu haben, da entpuppen sich die beiden an die Dimensionen der Matratzen angepassten, 1,40 m und 1,60 m breiten Schlafzimmer nochmals als echte Hausforderung. »Mir reicht das«, sagt Mathias Fellner. »Wenn man in so ein kleines Haus zieht, dann beginnt man auszumisten und sich zu überlegen, was man wirklich braucht und was nicht. Ein Schlafzimmer, das so groß ist wie ein Bett, zählt zu den Dingen, die genügen.« Die Erkundungsreise durch die Welt der Kleinigkeiten ist noch lange nicht zu Ende. ›
› Unzählige Details zwischen Boden und Decke gibt es zu entdecken: diverse Abstellfächer, Schlüsselnischen, selbstgebastelte Türmechanismen. Alle sind sie dreidimensionale Dokumente einer harmonischen Partnerschaft zwischen Bauherr und Architekten. Doch am meisten erfreut, dass dieses Kleingartenhaus trotz seiner verspielten Farben und Baumaterialien nicht im Geringsten gartenzwergig ausfiel. Vielmehr ist die Villa Rabenschwarz, und da schließt sich wieder der inhaltliche Kreis zu Wien und großer Architektur, das Produkt eines schelmisch interpretierten Loos’schen Raumplans. •
Für die Entwürfe diverser Villen entwickelte Adolf Loos um 1910 einen »Raumplan«, der Größe und Anordnung der Räume von ihrer jeweiligen Funktion abhängig macht und sie teilweise ineinander schachtelt.
Standort: Geroldgasse 4/10, A-1170 Wien Bauherr: Mathias Fellner, Wien Architektur, Tragwerksplanung: Schuberth und Schuberth, Architektur und Innenarchitektur, Wien Wohnnutzfläche: 43,44 m² BRI: 160 m³ Bauzeit: August 2010 bis Februar 2011 Baukosten: 143 000 Euro netto (Gebäude), Möblierung: 15 000 Euro netto
Beteiligte Firmen: Baumeisterarbeiten: K.Z.B. Bau, Wien, www.kzb.at Zimmerer, Innenausbau, Fenster: Kager Holzbau, Pinkafeld, www.kzb.at Verkohlte Fassade: Seidenholz, Wien, www.kzb.at Dach: Hochegger Dächer, Hartberg, www.kzb.at Installateur: Sachs und Co, Wöllersdorf, www.kzb.at Bodenleger: Rozmiarek, Kritzendorf, www.kzb.at Linoleum: Forbo, Baar, www.kzb.at Küchenstühle: Alias, Grumello del Monte, www.kzb.at Bad- und Küchenrückwand: Eternit, Vöcklabruck, www.kzb.at

Wien (A) (S. 22)

Schuberth und Schuberth
Johanna Schuberth
1978 geboren. Studium der Innenarchitektur an der Akademie der Bildenden Künste München. Seit 2005 Büro für Architektur und Innenarchitektur gemeinsam mit Bruder Gregor Schuberth.
Gregor Schuberth
1972 geboren. Architekturstudium an der TU Wien und der TU Berlin. 2001-02 Lehrtätigkeit an der FH Potsdam. Seit 2005 Büro für Architektur und Innenarchitektur gemeinsam mit Schwester Johanna Schuberth.
Wojciech Czaja
1978 geboren. Architekturstudium an der TU Wien. Freischaffender Architekturjournalist für Tagespresse und Fachmagazine. Zahlreiche Bücher. Seit 2005 Tätigkeit für die österreichische Tageszeitung Der Standard.
 
 
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