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Das Pekinger Büro MAD sieht Architektur als Abbild der Landschaft

Architektur als Abbild der Landschaft
Chinesische Konditionen

Das explosionshafte Anwachsen chinesischer Städte wird so schnell nicht zum Erliegen kommen. Die Probleme sind erkannt, zum großen Teil nicht neu, dennoch aber nur schwer in den Griff zu bekommen. Chinesischen Architekturbüros bietet sich dabei die Chance, sich gegenüber althergebrachten Strukturen mit individuellen und neuen Konzepten zu positionieren. Im Spannungsfeld zwischen Anspruch und Verwertungsdruck, zwischen Globalisierung und eigener kultureller Prägung agiert das Pekinger Büro MAD und stellt einen Versuch, Anknüpfungspunkte an kulturelle Werte vergangener Zeiten aufzunehmen, zur Diskussion.

Architekten: MAD Architects
Kritik: Eduard Kögel

Die Kommunen kämpfen mit Flächenknappheit, denn das staatliche Ziel der radikalen Urbanisierung erfordert bis 2020 3,5 Mio. ha neues Bauland. Dazu kommen Wassermangel und Umweltprobleme. Die Herausforderungen sind gewaltig. Die bisherigen Entwicklungsmodelle bedürfen dringend der Überprüfung.
Während sich die ländlichen Grundstücke im kollektiven Besitz der Bewohner befinden, gehören die städtischen Grundstücke bis heute dem Staat. Einen erheblichen Teil ihrer Einnahmen erzielen die Kommunen aus der befristeten Vergabe von kommerziellen (40 Jahre) oder privaten (70 Jahre) Landnutzungsrechten an Investoren. Die Entwicklungsperspektive bleibt dadurch auf eine relativ kurze Zeitspanne beschränkt – kein guter Nährboden für weit in die Zukunft vorausblickende Konzepte. Ohnehin geht die Rechnung, aus diesen Töpfen die Stadtentwicklung zu finanzieren, nicht auf. In den letzten Monaten veröffentlichte die Regierung dramatische Berichte zur Finanzlage der Kommunen. Jetzt wird experimentiert – im letzten September führten 28 Städte versuchsweise den freien Handel mit Bauland ein.
Eine Regionalplanung ist in China nur sehr rudimentär vorhanden – Papier ist geduldig und besitzt gegenüber den mächtigen »Lokalfürsten« nicht die nötige Durchschlagskraft. Die Erweiterung der großen Städte beruht auf funktionalen Masterplänen, die sich jeweils nur auf Teilgebiete beziehen. Auf dieser Grundlage kaufen private Entwicklungsgesellschaften die Nutzungsrechte und beauftragen die Planer direkt oder über Wettbewerbe. Oft bewegt der Investor die lokalen Beamten mit einem innovativen Rendering und vollmundigen Versprechen zu Zugeständnissen bei der Vergabe von Grund und Boden, auch ohne Masterplan.
Ob bei den Projekten große, ehemals staatliche Büros, kleine private Designstudios oder ausländische Architekten zum Zuge kommen, liegt v. a. am persönlichen Netzwerk und an der kommerziellen Strategie des Investors. Die Ergebnisse lassen sich jedenfalls nicht ohne Weiteres dem Schema großes Büro = schlechter Entwurf, kleines Büro = gute Architektur oder ausländisches Büro = Innovation zuordnen. So manche Kopie europäischer Architektur entspringt der Feder westlicher Architekten.
Weichmacher für zähe Strukturen
Aufgrund der Umweltbelastung und wachsender Proteste der Bevölkerung werden innovative Konzepte vermehrt nachgefragt – eine Nische sowohl für ausländische Experten als auch für junge, experimentierfreudige Büros, die neue Ideen entwickeln. Allerdings gestaltet sich deren Umsetzung oftmals als schwierig, denn sie setzt voraus, dass sich die Bevölkerung in ihrem Verhalten anpasst oder dass nachfolgende Infrastrukturen denselben Prinzipien verpflichtet sind. Die notwendigen Investitionen dafür können die Kommunen aber oft nicht leisten. Zudem erschweren die Mehrkosten innovativer Lösungen deren Vermarktung. Oft greifen deshalb nach der Genehmigung pragmatische Veränderungen, oder es werden zusätzlich lokale Büros mit der Verbreitung vielversprechender Slogans beauftragt. Das Endprodukt wird Wohnung für Wohnung an private Kunden verkauft, die zu Fragen der äußeren Gestaltung keine Stimme haben – Verwertungskette und Planungskultur lassen das nicht zu, zumal der Investor aufgrund der weitgehend einkommenshomogenen Nutzergruppen Gestaltung und Verkauf sehr zielgenau organisieren kann.
Heute folgt die chinesische Stadtentwicklung weitgehend der Funktionstrennung, wie sie sich in der westlichen Moderne während der Industrialisierung entwickelte. Dieses Leitbild verstehen v. a. die technisch und naturwissenschaftlich ausgebildeten Parteikader, die zusätzlich oft eine regionale oder nationale Symbolik einfordern. Eine Transformation historischer Gestaltungsprinzipien in neue Formen steht dagegen erst am Anfang und hat es im schnelllebigen und plakativen Wettstreit der oberflächlichen Zeichen schwer. Seit einigen Jahren ist jedoch eine spürbare Rückbesinnung auf konfuzianische Ethik und taoistische Weltbilder spürbar, die zur Lösung aktueller Probleme herangezogen werden. Vermischt mit westlichen Schlagworten wie Nachhaltigkeit und »Smart solutions« sollen sie beim »Aufbau einer harmonischen Gesellschaft« helfen, in der die Widersprüche der heutigen Entwicklung politisch vertretbar bleiben.
Im traditionellen China gab es zwei wesentliche Strukturmodelle der Stadt: Zum einen die kaiserliche Rasterstadt – allen voran das historische Peking –, zum andern die sogenannte Berg- und Wasserstadt (Shan-Shui-Stadt), die der landschaftlichen Einbettung Rechnung trug. Beide Modelle wurden im vergangenen Jahrhundert durch westliche und sozialistische Vorbilder überlagert oder ausgelöscht. Ab den 80er Jahren entstand die funktionsgetrennte Stadt, die mit identischen Projekten einer Nivellierung der ästhetischen und konzeptionellen Eigenheiten Vorschub leistete. Das Unbehagen gegenüber dieser Situation führte in den letzten Jahren zu einem Diskurs über neue Vorbilder. Der alte Topos der Berg- und Wasserstadt bietet dazu ein genuin chinesisches Entwicklungsmodell an. Während die historischen Modelle sehr tief in einer religionsgeografischen Verortung zwischen Topografie, Platzierung und Architektur gebunden waren, stehen heute aber v. a. formale Experimente zur Diskussion. Sie sollen technische Lösungen mit neuen Formen fortschreiben.
Versuche der Anbindung
Das 2004 von Ma Yansong in Peking gegründete Büro MAD – es beschäftigt heute über 60 Mitarbeiter an Projekten im In- und Ausland – bestimmt den Diskurs um diese neuen Ansätze in der Architektur ganz wesentlich mit. Der gerade in Peking begonnene, mischgenutzte Komplex Chaoyang Park Plaza mit über 120 000 m² Geschossfläche besteht aus zwei bergartig geformten Hochhäusern mit 120 m Höhe und mehreren kleineren, ebenso gestalteten Nebengebäuden, die zusammen ein dichtes Ensemble bilden, das scharf an der Parzellengrenze abbricht. Der formale Versuch, Elemente aus der traditionellen Landschaftsmalerei in Architektur zu übertragen, entspringt dem Wunsch, die Monotonie der kommerziellen Massenarchitektur zu überwinden und eine eigene Sprache zu entwickeln. Im historischen Berg-Wasser-Stadt-Konzept spielten architektonische Fragestellungen jedoch keine Rolle. Es beruht auf der Akzeptanz landschaftlicher Gegebenheiten und auf kleinteiliger modularer Architektur, die sich organisch in die Landschaft fügt. Wenn Architekten wie MAD heute versuchen, abstrakte Landschaftskompositionen aus der Malerei selbst zur Architektur zu machen, so reflektieren sie mehr über die Frage des großen Maßstabs als über das historische Stadtkonzept von Berg und Wasser. Als Bildproduzenten einer schnelllebigen Verwertungsindustrie setzten sie damit Akzente, deren Entstehungsgeschichte tiefer in der westlichen Architekturentwicklung verankert ist, als es der Verweis auf die eigenen historischen Konzepte glauben machen will.
Während sich ein kommerzielles Projekt wie die Chaoyang Park Plaza am Markt behaupten muss, repräsentiert ein Kulturzentrum wie z. B. jenes in Harbin (ebenfalls von MAD geplant) im günstigen Fall den Stolz der Bürger – oder im ungünstigen Fall die Ambitionen der Würdenträger.
Die Baukörper für das »Grand Theater« mit zwei Sälen für 1 600 und 400 Besucher und das 40 000 m² große »Labour Recreation Center« sind durch eine großzügige Platzgestaltung zusammengefasst und fügen sich formal in das umgebende Feuchtgebiet ein. Eben jene organische Einbindung in die landschaftlichen Gegebenheiten hatte 2010 den Wettbewerbssieg gebracht. Die sich im Bau befindliche architektonische Skulptur tritt selbstbewusst in den Dialog mit der umliegenden Wasserlandschaft. Der Standort auf der »Kulturinsel« am gegenüberliegenden Flussufer, ein gutes Stück außerhalb der Kernstadt gelegen, wird es jedoch schwer machen, die Gebäudegruppe als Ausdruck eines städtischen Selbstbilds zu begreifen. Vielleicht wiegt aber auch die Möglichkeit zur Annäherung von Kultur und Natur schwerer. Was der chinesischen Landschaftsmalerei seit 1 000 Jahren gelingt, nämlich die permanente Erneuerung der Ausdrucksfähigkeit, wäre der Stadt jedenfalls zu wünschen.
Offen bleibt auch die Frage, wie sich die Nutzer gegenüber den computergenerierten Fertigprodukten verhalten werden. Pflegeaufwand und Alterungsfähigkeit der Aluminiumbekleidung des Kulturzentrums in Harbin oder der organisch geformten, eingefärbten Glaspaneele des Geschäftshauskomplexes in Peking könnten unter dem Einfluss der Umweltverschmutzung am Ende schneller darüber entscheiden, wie lange die »neue« futuristische Form die Zukunft repräsentieren darf, als den Architekten lieb ist. •
Architekten: MAD Architects Office, Peking, www.i-mad.com

MAD Architects
Ma Yansong
In Peking geboren. Master in Architektur an der Yale University (USA). 2004 Gründung von MAD. 2010 erstes chinesisches Mitglied des RIBA (GB). Zahlreiche chinesische und internationale Auszeichnungen.
Dang Qun
In Shanghai geboren. Master in Architektur an der Iowa State University (USA). Seit rund zehn Jahren Mitabeit bei MAD, jetzt in der Geschäftsführung. Lehraufträge an der Iowa State University und in New York.
Yosuke Hayano
In Aichi (J) geboren. 2003 Post-Master an der Architectural Association in London (GB). Mitarbeit bei MAD, jetzt in der Geschäftsführung. 2008-12 Gastvorlesungen an zwei Hochschulen in Tokio.

Eduard Kögel
1960 geboren. 1988-95 Architekturstudium in Kassel. 1995-97 Berufstätigkeit. 1999-2004 Wiss. Mitarbeit an der TU Darmstadt. Seit 2004 in der Chefredaktion von World Architecture, Peking. 2003-07 Dissertation. Seit 2008 Lehrauftrag am China Center, TU Berlin.

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