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Schöner stapeln

Keramikmuseum in Sevilla (E)
Schöner stapeln

Von der Töpferei zum Museum: Das Architekturbüro AF6 Arquitec- tos hat der ehemaligen Keramikmanufaktur »Cerámica Santa Ana Rodríguez Díaz« ein Geschoss aufgesetzt und einen ornamentalen Sonnenschutz verpasst. Selten wurde moderner Bauschmuck so sinnfällig und beziehungsreich verwendet wie bei diesem Gebäude.

{Text: Julia Macher

Das »Centro Cerámica Triana« im andalusischen Sevilla macht ein Geheimnis aus sich: Von der Straße aus vermutet niemand einen modernen Museumsbau hinter den drei alten Fassaden im Handwerkerviertel Triana. Eine davon, sie ist Teil eines repräsentativen zweigeschossigen Eckhauses, ist mit ortstypischen Reklametafeln aus Keramikkacheln verziert. Hier verbirgt sich der Eingang zum Keramikzentrum, zu dem auch ein Verkaufs- und Werkraum gehört. In ganzem Ausmaß erschließt sich der Entwurf des ortsansässigen Architekturbüros AF6 Arquitectos jedoch erst vom Innenhof aus: Um eine verwinkelte Freifläche legt sich ein neu gebautes OG, bei dem v. a. die Fassadenverkleidung ins Auge sticht – in einem vorgehängten Stahlregal lagern Keramikhülsen unterschiedlicher Durchmesser, in absichtsvoller Unordnung mal höher, mal niedriger gestapelt. Elegant scheint dieses Stockwerk über den vorhandenen schweren Ziegelwänden des EGs zu schweben. Im historischen Mauerwerk zeichnen sich die Konturen der alten, teils aus dem Mittelalter stammenden Keramiköfen ab, Schornsteine und Belüftungsschächte verweisen auf ehemalige Brennöfen. Bei zwei von ihnen führen Treppen zu unterirdischen Heizkammern. Die drei Ebenen, die so vor dem Besucher liegen, geben einen ersten Eindruck von der räumlich komplexen Anlage.
Im Hof versteckt
Dass die Architekten ihr markantestes Gestaltungselement, den ornamentalen Sonnenschutz aus Keramikhülsen, im Innenhof versteckt haben, verweist auf eine Charakteristik des lokalen Keramikgewerbes. Denn traditionell waren im Stadtteil Triana die Gebäude, die direkt an der Straße liegen, dem Verkauf, dem Wohnen und der Lagerung vorbehalten. Produziert wurde hingegen »im Verborgenen«, in den Innenhöfen, auf denen so über die Jahrhunderte eine Miniatur-Gewerbelandschaft aus Brennöfen, Pigmentmühlen und Schuppen entstand. Der Firmensitz des Traditionsunternehmens Cerámica Santa Ana Rodríguez Díaz, der schon ab dem späten Mittelalter in Betrieb, seit den 70er Jahren aber stillgelegt war, stellt mit seiner dreigeteilten Straßenfassade und dem verwinkelten Innenleben ein Musterbeispiel für diese Bauweise dar. Als solches steht die Anlage seit 1999 unter Denkmalschutz. Beim Umbau durften Fassaden und Struktur der Produktionsstätten infolgedessen nicht verändert werden; alle Keramiköfen mussten erhalten, weitere archäologische Funde dokumentiert und gesichert werden.
Also stellte das sevillanische Büro bei seinem Entwurf die vorhandene Bausubstanz in den Mittelpunkt. Die Erschließung des EGs orientiert sich zum einen an der Anordnung der wuchtigen kreisrunden Brennöfen mit ihren teils unterirdisch liegenden Heizkammern, zum anderen an zwei der acht archäologischen Fundstücke, die während der Bauarbeiten entdeckt worden waren. Nach Abtransport von Schutt ließen die Architekten lediglich ein paar extrem baufällige Schuppen sowie Zwischenwände mit geringem historischem Wert abreißen und einige Mauerlücken schließen, sodass nun eine Art Rundweg durch die labyrinthische Anlage führt. Auch das neu aufgestockte Geschoss reagiert auf den Bestand. Wo die wuchtigen Keramiköfen im EG Platz und Aufmerksamkeit beanspruchen, weicht das OG zurück und schrumpft auf einen schmalen Flur zusammen; über freien Flächen dagegen kragt es aus und schafft so den nötigen Platz für Ausstellungen.
Facettenreiches Ornament
Die vorgehängte Fassade der Aufstockung löst sich als eigenständige Schicht vom Baukörper und macht das OG zu einem klassischen »dekorierten Schuppen« im Sinne Robert Venturis. Was dieses Dekor allerdings von vielen seiner postmodernen Vorläufer unterscheidet, ist sein ganz konkreter Nutzen: Es filtert das Licht und schützt die dahinterliegenden Räume vor direkter Sonneneinstrahlung. Vor den südlich ausgerichteten Räumen ist die Dichte der Keramikkörper höher, an weniger besonnten Stellen niedriger und gewährt so Ausblicke in den Hof. Wegen des steileren Sonnenstands in Südspanien ist ein solches feststehendes Verschattungselement leistungsfähiger als in Mitteleuropa, wo die flach stehende Sonne einfach zwischen den Blenden hindurchscheinen würde. Dass das Bauteil einen technischen Zweck erfüllt, macht es zu einem integralen Teil der Konstruktion und lässt es weniger austauschbar und appliziert wirken als dies bei anderen Ornamenten häufig der Fall ist.
Der schmückende Sonnenschutz setzt sich aus 10 000 eigens angefertigten Hülsen zusammen, Sechzehnecken mit eingeschriebenem Kreis. Der Durchmesser variiert in vier unterschiedlichen Größen zwischen 10 und 30 cm. Farblich korrespondieren die Keramikelemente mit den vorhandenen Ziegelwänden des EGs. Das massive Mauerwerk scheint sich nach oben hin aufzulösen.
Wenn es so etwas gibt wie sprechende Architektur, dann trifft diese Fassade gleich mehrere Aussagen gleichzeitig. Zunächst einmal verweist das Material, glasierte Keramik, direkt auf den aktuellen Inhalt des Gebäudes. Darüber hinaus schreiben die Keramikhülsen in ihrer Gesamtheit eine regionale Bautradition auf neue Weise fort – sie erinnern an die in Andalusien häufig anzutreffenden Maschrabiyya. Diese dekorativen Fenstergitter oder Fassadenverkleidungen, die aus der arabischen Architektur stammen, verschatten Innenräume und erlauben es den Nutzern, nach draußen zu schauen, ohne selbst gesehen zu werden. Nicht zuletzt nimmt die zufällig wirkende Stapelung der Hülsen Bezug auf die Keramikproduktion unmittelbar vor Ort: Auch in den Brennöfen und Lagern Sevillas werden Keramikteile solcherart übereinander geschichtet. Bei den Vorarbeiten für die Planung des Museums fanden die Architekten ganz ähnliche Körper in einem Lagerraum, vermutlich sollten sie einmal eine ebenso luftige und dekorative Fassade bilden, wie sie AF6 Arquitectos jetzt dem Centro Cerámica Triana angedeihen ließen. •
Standort: Calle San Jorge, 31 / Calle Antillano Campos 2-6, E-41010 Sevilla
Auftraggeber: Consorcio de Turismo de Sevilla, www.visitasevilla.es
Architektur: AF6 Arquitectos, Sevilla, www.af6.es
HLK-Planung: DiMarq, Sevilla, www.dimarq.es
Restaurierungsarbeiten: Alfeizar Restauraciones, Sevilla, www.alfeizar-restauraciones.com
BGF: 2 241 m²
Baukosten: ca. 3,4 Mio. Euro
Beteiligte Firmen:
Keramische Fassadenelemente: Metis Conservación y Restauración, Sevilla, www.metisrestaura.com, zusammen mit Cerámicas José Padilla García, Bailén
Mauersanierung, Kunstharzbodenbeschichtung: Sika España, Madrid-Alcobendas, www.sika.es
Dachabdichtung: ChovA, Tavernes de la Valldigna, www.chova.com, zusammen mit Danosa, Fontanar, www.chova.com
Trennwände: Knauf Interiors, Madrid, www.knauf.es
Weitere Informationen unter www.db-metamorphose.de

Sevilla (E) (S. 106)

 

AF6 Arquitectos
Juliane Pötter
1971 in Köln geboren. 1999 Abschluss Architekturstudium an der RWTH Aachen. 2000-01 Mitarbeit bei José Morales Sánchez und Juan González Mariscal, Sevilla. 2001 Gründung von AF6 Arquitectos.
Esther López Martín
1973 in Sevilla (E) geboren. 2000 Abschluss Architekturstudium an der ETSA in Sevilla. 2001 Gründung von AF6 Arquitectos. 2008-10 Master in Landschaftsarchitektur. 2012 Master of Advanced Studies in Architektur und Denkmalschutz.
Ángel González Aguilar
1974 in Sevilla (E) geboren. 2001 Abschluss Architekturstudium an der ETSA in Sevilla. 2001-02 Mitarbeit im Büro Arquia Estudio in Burgos. 2001 Gründung von AF6 Arquitectos. 2013 Master Gebäudetechnik.
Miguel Hernández Valencia
1975 geboren. 1999 Abschluss Architekturstudium an der ETSA in Sevilla, dann dort Assistenz. 2001 Gründung von AF6 Arquitectos. Mitglied von »Architektur für eine kreative Stadt« an der Universität Sevilla.
Francisco José Domínguez Saborido
1974 in Ubrique (E) geboren. 2003 Abschluss Architekturstudium an der ETSA in Sevilla. Seit 2003 Mitarbeit bei AF6 Arquitectos. Seit 2012 Masterstudium Gebäudetechnik an der ETSA in Sevilla.
Julia Macher
s. db 3/2013, S. 144
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