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Heißes Eisen

Fassadenneugestaltung in London (GB)
Heißes Eisen

Für das Modelabel Paul Smith haben 6a architects in einem Londoner Bürohaus einen Flagship Store eingerichtet — und für das Straßengeschoss eine gusseiserne Fassade entworfen. Sie gewinnt einem alten Baustoff neue gestalterische Möglichkeiten ab. Mit modern interpretierten Ornamenten nimmt sie Bezug auf die lokale Bautradition.

{Text: Cordula Zeidler

Der Londoner Bezirk Mayfair und besonders die Straßen um die Bond Street verändern sich momentan rapide. Zwar ist dieses Viertel bereits seit ca. 1900 vom Kommerz geprägt und der Originalbestand, Wohnhäuser aus der Zeit der vier »Georgian Kings« aus dem frühen 18. bis zum mittleren 19. Jahrhundert, hat seit Langem zum großen Teil Läden im EG. Doch in den vergangenen fünf Jahren hat sich die geschäftliche Nutzung dort erheblich intensiviert und eine neue Form angenommen. In der Bond Street gibt es seit Kurzem doppelgeschossige Läden mit überdimensionierten Schaufenstern für Luxusmarken wie Louis Vuitton, die um internationale Käufer werben und im Kontrast zu den alteingesessenen Nutzern und deren oft traditioneller Ladenarchitektur stehen.
Die lokale Baubehörde Westminster macht sich inzwischen Sorgen über die drastisch gesteigerten Ladenmieten, die viele der etablierten Kunstgalerien aus diesen Straßen zu verdrängen drohen; neue Planungsrichtlinien sollen das verhindern, doch kann aufgrund der Nutzungsklasse, die für Läden und Galerien dieselbe ist, eine Umnutzung kaum verhindert werden.
Qualität statt Kommerz
Während um die Ecke also der Kampf um den Quadratmeterpreis und eine neue kommerzielle Straßenarchitektur tobt, haben der englische Modedesigner Paul Smith und 6a architects auf der Albemarle Street etwas anderes versucht. Zwar handelt es sich auch hier um eine Umnutzung: Paul Smith kaufte ein Bürogebäude aus den 1980er Jahren (architektonisch eher schwerfällig in der Formensprache des mittleren 19. Jahrhunderts gehalten) und vergab die Neugestaltung der Fassade nach einem eingeladenen Wettbewerb an das Büro 6a. Smith besitzt bereits einen Laden im Nachkriegsblock nebenan und die Neuerwerbung dient nun als erweiterte Verkaufsfläche, während in den OGs Büros vermietet werden. Doch die Shopgestaltung zeigt sich in vielerlei Hinsicht als das Gegenteil der Glasarchitektur in der Bond Street.
6a wurden mit dem Entwurf beauftragt, nachdem das Gebäude bereits entkernt war. Dessen junges Alter erwies sich in zweifacher Hinsicht als hilfreich. Eine extrem robuste Betonkonstruktion erlaubte es, gusseiserne Paneele anzubringen, ohne die tragenden Bauelemente verstärken zu müssen. Zudem steht das Gebäude nicht unter Denkmalschutz.
Genius loci interpretiert
Die Architekten überzeugten ihren Bauherrn im Wettbewerb nicht mit einem detaillierten Entwurf, sondern mit einer Strategie. Von Anfang an wollten sie das Gebäude im Umfeld verankern und auf ein traditionelles Londoner Baumaterial zurückgreifen. Die älteste Mayfairer Bebauung, Backsteinreihenhäuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert, weist generell zur Straße hin gusseiserne Geländer auf, teilweise auch vor den Fenstern im 1. OG Verzierungen und Balkone aus Gusseisen. Eine frühe Idee, die gesamte Ziegelfassade des Gebäudes mit Gusseisen zu überziehen, wurde aus Zeit- und Kostengründen verworfen − und das hat letztlich zu einem überzeugenderen Resultat geführt. Denn die Außenwandgestaltung auf den lokalen Geschäftsstraßen ist allgemein in eine reicher ornamentierte EG-Zone und eine ruhigere Backsteinarchitektur in den OGs gegliedert. Paul Smiths neue Fassade ist somit tatsächlich authentisch Mayfair. Die vorhandene Sichtziegelfläche der OGs wurde lediglich schwarz überstrichen.
Doch welche konkrete Gestaltung sollte das Gusseisen im EG erhalten? Über mehrere Monate experimentierten 6a und Paul Smith und untersuchten Entwürfe, die zunächst an fallende Stoffe erinnerten, also einen Verweis auf die Nutzung des Gebäudes lieferten. Im Endeffekt legten sich die Architekten jedoch auf ein Muster fest, das an die Baukunst der Regency-Zeit (frühes 19. Jahrhundert) angelehnt ist: Die Formensprache dieser Periode ist belebter und besitzt eine stärkere Ornamentik als frühere Dekaden, Musterbücher inspirierten schließlich zu einem Entwurf, der sich in dezenter Weise auf die lokale Bautradition bezieht. Vorgehängte Platten aus Gusseisen erhielten ein Relief, bei dem sich überschneidende Kreise ein Ornament ergeben, das leicht erhaben hervorsteht. Es zeigt direkte formale Verwandtschaft etwa mit den Sprossengliederungen von Fenstern aus der Regency-Epoche oder auch mit den sogenannten »Fanlights«, den Oberlichtern über Eingangstüren.
Mut zur Tradition
Trotz all dieser wohlüberlegten Anlehnungen an den Londoner Kontext ist das Resultat keineswegs nur »ein bisschen Mayfairer Straßenarchitektur«, sondern eigenwillig und überraschend. Es fällt sofort auf, das Paul Smith hier eine mutige Entscheidung getroffen hat; kein Händler will heutzutage kleine Ladenfenster, doch in der Albemarle Street gibt es mehr Gusseisen als Glas. Und der Entwurf funktioniert sowohl aus der Ferne als auch bei genauerer Betrachtung. Die schwere, fast schwarze Außenhaut erscheint ebenso eindrucksvoll industriell wie individuell, so robust wie feingliedrig; sie zeigt ein ernsthaftes Interesse an einem fast schon vergessenen Material, das im Vergleich mit der sonst allgegenwärtigen Fertigpaneel-Architektur tief berührt.
6a stehen in einer jungen Tradition englischer Architekten, die sich eingehend mit althergebrachten Materialien und Herstellungsweisen und mit Ornamentik beschäftigen. Eine halbe Generation älter sind die Architekten Caruso St John, die 6a als Lehrer und durch gebaute Vorbilder beeinflusst haben. Und es scheint, als haben die Schüler nun ihre Meister überholt: Die Ladenfassade in Mayfair überzeugt, während Caruso St Johns Umbau der Londoner Tate Gallery mit traditionellen Mustern und Techniken teilweise konfus und schlecht ausgeführt ist. Es gibt also Hoffnung für eine neue Architektengeneration, die vor dem Alten nicht zurückscheut und die Wiederauferstehung fast vergessener Materialien meistert.
Die Fassadenelemente wurden einzeln digital entworfen, deren Ornament fräste die Firma Data2Pattern, die auch Außenkörper für Schiffe und Autos herstellt, mit einer CNC-Fräse in einen Hartschaumblock hinein. Dieser diente als Abdruckform, um traditionelle Sandformen in einer Metallgießerei zu erstellen. In das Sandbett wurde dann Kugelgraphit-haltiges Eisen gegossen; diese moderne Variante des Werkstoffs ist weit weniger brüchig als traditionelles Eisen, das zur Herstellung z. B. der typischen Londoner Außengeländer des 19. Jahrhunderts verwendet wurde. Um die eisernen Platten als Fassadenbekleidung nach heutigen Standards nutzen zu können, wurden Haken zur Aufhängung in horizontalen Edelstahlschienen sowie versteckte überlappende Verbindungen zur Ausdehnung und Hinterlüftung in den Guss der einzelnen Elemente integriert. Drei Zeichnungen des Modedesigners Paul Smith goss man ebenfalls in Eisen, die Architekten interpretieren sie als Anlehnung an mittelalterliche Steinmetzzeichen. Um bei den Fassadenpaneelen insgesamt eine abwechslungsreichere Erscheinungsform zu erzielen, wurden sie für einige Tage offen im Hof der Gießerei gelagert und der Witterung ausgesetzt. Die daraus resultierende orangefarbene Oberfläche aus Eisenoxid erhielt dann eine Behandlung mit einer Rost-stoppenden Lösung, die wiederum eine schwarze Patina erzeugte. Auf diese Weise wirken die Elemente natürlich gealtert. Ein zusätzlicher Anstrich mit Rostschutzfarbe auf der Rückseite der Paneele soll eine lange Lebensdauer garantieren.
Wegen der extrem geringen Einbautoleranzen wurde der Schrumpfungsprozess präzise berechnet, sodass alle Elemente in exakt passender Größe hergestellt werden konnten. Bewusst haben die Architekten sichtbare Fehler in der Oberfläche des Gusseisens, z. B. kraterartige Vertiefungen oder von den integrierten Haken hervorgerufene leichte Mulden, in Kauf genommen, da diese den Entstehungsprozess widerspiegeln und den handwerklichen Charakter unterstreichen. Die Fluchttür für die Büros in den OGs wurde aus Eiche hergestellt und mit dem gleichen Muster wie die Eisenpaneele versehen, allerdings in vertiefter statt in erhabener Form. Die Fensterelemente aus verzinktem Stahl sind in einen rostfreien Stahlrahmen eingebaut. •
Standort: 11 Albemarle Street, GB-London W1S 4BL
Auftraggeber: Paul Smith, Nottingham, www.paulsmith.co.uk
Architektur: 6a architects, London, www.6a.co.uk
Tragwerksplanung: Rodgers Leask, London, www.rodgersleask.com
Fassaden- und Fensterplanung: Montrésor Partnership, North Wraxall, www.montresorpartnership.co.uk
Kostenplanung, Projektmanagement: KBM, London, www.kmb-ltd.co.uk
Beteiligte Firmen:
Gießerei Eisenpaneele: FSE Foundry, Braintree, www.fsefoundry.co.uk
Fassadenunterkonstruktion: Halfen, Houghton Regis, www.halfen.co.uk
Fassadendämmung: Rainscreen Duo Slab, Rockwool, London, www.rockwool.co.uk
Gebogene Verglasung: Cricursa, Granollers, www.cricursa.com
Beleuchtung: Mike Stoane Lighting, Loanhead, www.mikestoanelighting.com; Zumtobel Lighting, Chalfont St. Peter, www.mikestoanelighting.com
Weitere Informationen unter www.db-metamorphose.de

London (GB) (S. 88)

6a Architects
Tom Emerson
Architekturstudium in Bath, London und Cambridge. Lehrtätigkeit an der Architectural Association in London und an der University of Cambridge. Seit 2010 Assistenzprofessur an der ETH Zürich.
Stephanie Macdonald
Kunststudium in Portsmouth (GB), Stipendium in Japan. Danach Architekturstudium an der Mackintosh School of Architecture Glasgow, am Royal College of Art und an der London Metropolitan University.
Cordula Zeidler
Tätigkeit in London als Denkmalberaterin u. a. für eine lokale Baubehörde und die Twentieth Century Society. Seit 2013 Projektleitung bei der Londoner Beratungsfirma Publica, Autorin für Architekturzeitschriften.
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