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schmuckes Sichtmauerwerk: vom Backstein zum Hohlziegel

Sichtmauerwerk im Wandel der Zeit
Vom Backstein zum Hohlziegel

Gebrannte Ziegel aus Ton sind in der ganzen Welt verbreitet und prägen die Fassaden berühmter historischer Bauwerke ebenso wie die oftmals kunstvoll gefügten Sichtmauerwerkswände gewöhnlicher Industrie- und Wohnbauten. Die schmucke Backsteinarchitektur erhält ihr unverwechselbares Gesicht durch die Größe, Form, Farbe und Anordnung der einzelnen Steine und die Ausbildung der Fugen.

Text: Klaus Siegele

Das kindliche Spiel mit Legosteinen ist sehr eng mit dem Vermauern von Backsteinen verbunden – ganze, halbe oder viertel Steine ergeben durch entsprechendes Fügen eine Wand, deren Erscheinungsbild und haptische Anmutung von der Farbe, der Oberflächenstruktur und dem Verlegebild der Steine – dem sogenannten Mauerverband – abhängen. Wer mit Legosteinen aufgewachsen ist, für den bestehen Häuser logischerweise aus kleinformatigen Backsteinen, denkbar wären heutzutage natürlich auch ungleich größere Mauerziegel mit vielen kleinen Löchern drin.
Die Baugeschichte hat beeindruckende Werke aus Ziegel hervorgebracht: Von der chinesischen Mauer, einem monumentalen Bauwerk aus Millionen kleiner Backsteine, das man sogar vom Weltraum aus erkennen kann, über die Hagia Sophia, ein wunderschöner und vollständig aus Ziegeln errichteter Kirchenbau, dessen Fugen die Dicke der Ziegel zum Teil sogar übertrifft, das Holstentor in Lübeck, die alten Markthallen in Paris, das Battersea-Kraftwerk in London bis in die moderne Architektur im 21. Jahrhundert [1]. Eine prägnante Fassade aus Backstein ist ein ästhetisches Juwel, viel zu wertvoll, um verschämt hinter Putz und Wärmedämmverbundsystemen versteckt zu werden.
Ein 10 000 Jahre alter Baustoff mit Zukunft
Seit ihren Anfängen im Jericho der Jungsteinzeit vor etwa 12 000 Jahren hat die Herstellung und Verarbeitung des Ziegels einen langen Weg zurückgelegt [2]. Der Vorläufer des gebrannten Ziegels (Backstein) ist der luftgetrocknete und ungebrannte Lehm- oder Tonziegel (Adobe). Rohstoff war Lehm aus dem Erdreich, der mit Wasser vermischt und dann zu einer mehr oder weniger rechteckigen Form geknetet wurde. Nach dem Trocknen in der glühend heißen Sonne wurden die Steine zu dicken Mauern aufgeschichtet und mit Lehm vermörtelt. Nur in sehr trockenen Ländern haben Bauwerke aus Lehm Bestand, denn Regen weicht dieses Baumaterial auf wie die Frühjahrssonne den Schneemann.
Erst rund 5 000 Jahre nachdem sich luftgetrocknete Lehmziegel als Baustoff etabliert hatten, wurden erstmals gebrannte Ziegel in nennenswerter Zahl hergestellt. Dass die Technik des Brennens erst um 3500 v. Chr. aufkam, lag an den speziellen Kenntnissen in Verbindung mit dem relativ teuren Herstellungsprozess: Um aus getrocknetem Lehm einen harten Mauerziegel zu machen, muss er für eine gewisse Dauer bei konstant hoher Temperatur um 1 000 °C gebrannt werden. Wird er zu heiß gebrannt, schmilzt der Lehm zu einer formlosen, glasähnlichen Masse, ist die Temperatur zu niedrig, zerkrümelt der Backstein schon beim geringsten Luftzug [2]. Zudem eignet sich nicht jeder Lehm oder Ton zum Brennen, was man aber erst weiß, wenn der Herstellprozess zu Ende ist. Und einen Brennofen zu bauen, der eine konstant hohe Temperatur aufrechterhält, erfordert ebenfalls ein gewisses Knowhow. Backsteine waren in den frühen Hochkulturen also ein wertvolles Luxusgut – Zeugnissen aus der Dritten Dynastie von Ur zufolge konnte man um 2000 v. Chr. mit einer Silbermünze 14 400 luftgetrocknete Lehmziegel erfeilschen, aber nur 504 gebrannte Ziegel kaufen. Sogar in babylonischer Zeit (559-338 v. Chr.), als es bereits eine regelrechte Ziegelindustrie gab, waren gebrannte Ziegel noch zwei- bis fünfmal so teuer wie luftgetrocknete Lehmziegel.
Es waren also nicht die Römer, die den gebrannten Ziegel und die Backsteinbauweise erfunden hatten – jedoch haben sie diese perfektioniert, und der Backstein ist als Baumaterial eng mit der römischen Architektur verknüpft. Man findet ihn im Pantheon ebenso wie in den Caracalla-Thermen, in profanen Bürgerhäusern und Senatsbauten, aber auch bei ingenieurtechnischen Bauprojekten und als kunstvoll geformtes Einzelstück für Friese und Ornamente. Mit der Ausdehnung des römischen Reiches gelangten die Kenntnisse zur Herstellung und Verarbeitung gebrannter Ziegel bald in alle Winkel Europas und Teile Vorderasiens. Der Islam trug die Technik nach Nordafrika und Zentralasien, christliche Mönche verbreiteten sie in ganz Europa, und mit dem Buddhismus gelangte sie aus Indien nach Birma und Thailand. Im Mittelalter trugen Siedler das Wissen schließlich nach Nordamerika. Der technische Fortschritt machte in der Renaissance den Backstein für das breite Bürgertum erschwinglich und so verbreitete sich die Ziegelbauweise allmählich in allen sozialen Schichten. Die Industrielle Revolution im 19. Jahrhundert bescherte der Ziegelherstellung schließlich durch die Erfindung neuer Brennöfen und maschineller Fertigungstechniken einen Quantensprung, welche die Basis für den modernen Hochlochziegel des 20. Jahrhunderts legten.
Das Industriezeitalter revolutioniert die Ziegelherstellung
Anders als ein luftgetrockneter Ziegel wird ein Backstein durch den komplexen Brennvorgang – er dauert acht bis 15 Stunden bei konstanten 900 bis 1 150 °C – wasserbeständig und hart. Wichtig ist zudem, dass der Rohstoff eine geeignete Tonqualität aufweist und die richtige Menge an Sand beigemischt wird. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts hat man die Ziegel manuell, also im Handstrichverfahren geformt, bevor sie getrocknet und dann in der Brennkammer aufgeschichtet wurden. Der Begriff Handstrichverfahren rührt daher, weil der überschüssige Ton in dem Formkasten mit einem Holzstock (dem »Abstreichholz«) von der Form abgenommen wurde, bevor man den Formling auf das Trockenbrett gekippt und zum Trockenplatz befördert hat.
Die erste maschinelle Variante des Ziegelformens war das sogenannte Trockenpressverfahren, bei dem der Ton von der Maschine zunächst geknetet und dann unter erheblichem Druck in die Form gepresst wurde. Als weitaus effizienter erwies sich das Strangpressverfahren, für das sich Johann Georg Degerlein in England im März 1810 ein Patent sicherte: Die Maschine dieses Erfinders presste feuchte Tonmasse durch eine Form, aus der ein rechteckiger Strang hervorquoll, der dann in einzelne Ziegel geschnitten werden konnte. Als Abschneider verwendete man zuerst Messer, die später durch dünne Drähte ersetzt wurden. Korrekt eingestellt, produzierte das Strangpressverfahren zuerst in den Vereinigten Staaten, später dann in Europa angeblich 25 000 Ziegel pro Tag. Die glatten, gleichmäßigen Ziegel ließen sich mit sehr schmalen Fugen vermauern, was bei den Architekten gemischte Gefühle hervorrief: Einerseits schätzten sie die Gleichmäßigkeit, andererseits vermissten sie die originäre Textur und den unverwechselbaren Charakter handgestrichener Ziegel.
Auch bei den Brennöfen war im Zuge der Industrialisierung nach langem Stillstand im Mittelalter ein Fortschritt zu verzeichnen: Auf den lange genutzten Brennofen mit aufsteigender Flamme, bei dem der Rauch durch die Brennkammer nach oben stieg, folgte zunächst der Brennofen mit überschlagender Flamme. Der große Nachteil der römischen Feldbrandöfen und der schottischen Öfen, die auch im Europa des 18. Jahrhunderts noch verbreitet waren, lag darin, dass aufgrund der aufsteigenden Flamme die ganz unten platzierten Ziegel zu heiß wurden und somit zu stark gebrannt wurden. Den weit oben aufgeschichteten Ziegeln erging es umgekehrt, sie waren am Ende zu schwach gebrannt. Das Prinzip der überschlagenden Flamme löste dieses Problem, indem die heiße Luft zunächst in den oberen Teil des Ofens und dann durch ein Gittersystem nach unten geleitet wurde. Die Kapazität solcher Öfen liegt je nach Größe zwischen 13 000 und 100 000 Ziegeln, wobei Rohlinge unterschiedlicher Größe und Form gleichzeitig gebrannt werden können.
Der entscheidende Nachteil all dieser bisherigen Brennöfen lag darin, dass die Feuerung zum Beschicken und zur Entnahme ausgesetzt werden musste, das heißt die Öfen mussten nach einem Brennvorgang abkühlen, und das Feuer musste für den nächsten Brennvorgang wieder neu angefacht werden. Dieses Problem löste der Ringofen mit kontinuierlichem Brennvorgang, den sich der sächsische Regierungsbaumeister Friedrich Eduard Hoffmann 1858 patentieren ließ. Der ringförmige Ofen enthält eine bestimmte Anzahl von Kammern mit jeweils einer eigenen Tür zum Beschicken und Entnehmen der gebrannten Ziegel. Die einzelnen Kammern waren durch Zuglöcher und Luftzufuhrregler miteinander verbunden und konnten nacheinander mit Rohlingen beschickt werden, die dann gebrannt, abgekühlt und entnommen wurden, da das Feuer von einer Kammer in die nächste weitergeleitet wurde. Die Öfen blieben tatsächlich 24 Stunden und 365 Tage im Jahr in Betrieb – manche sogar über einen Zeitraum von fünfzig Jahren. Zunächst als runde Form konzipiert, stieg die Kapazität der Hoffman’schen Ringöfen deutlich an, nachdem sie zu einem Oval verlängert wurden. Die Öfen sind – je nach Anzahl der Kammern – für eine jährliche Marge von mindestens zwei Millionen Ziegeln ausgelegt. Die geniale Erfindung fand weltweit Anklang, dominierte ab Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1970er Jahre in verschiedenen Varianten die Backsteinherstellung, und manche der Öfen sind sogar bis heute in speziellen Manufakturen noch in Betrieb. In modernen Ziegelbrennereien werden serienmäßig gefertigte Ziegel im gasbefeuerten Tunnelofen gebrannt, durch den die Ziegel auf Wagen langsam hindurchgleiten.
Die Kunst des Vermauerns von Backsteinen
Kelle, Winkel und Lotschnur waren sowohl für die Römer als auch für die Handwerker im Mittelalter gebräuchliches Werkzeug zum Vermauern der Backsteine. Mit der Maueraxt, ähnlich einem Beil, jedoch mit zwei geschärften Schneiden, bearbeiteten die Maurer die Steine, die ab dem 19. Jahrhundert allmählich durch verschiedene Meißel ersetzt wurde, die bis heute noch zum gängigen Werkzeug zählen. Erst im 20. Jahrhundert trat an die Stelle von Lot und Winkel die Wasserwaage. Dass viele der historischen und kunstvollen Vermauertechniken inzwischen verloren gegangen sind, liegt einerseits an der Rationalisierung und dem Kostendruck im Bauwesen, andererseits auch an dem dramatischen Wandel in der Ausbildung: Mussten die Ziegelmaurer des Mittelalters noch eine mindestens siebenjährige Lehrzeit durchstehen, lernen die Auszubilden heutzutage diese traditionelle Handwerkskunst binnen zwei oder drei Jahren an der Berufsschule oder gar in wenigen Abendkursen.
Das Beherrschen der vielen Mauerverbände, die oft regionalen Ursprungs sind, sowie die Kunst des Verfugens will gelernt sein. Die Dicke, Farbe und Oberflächenstruktur der Mörtelfugen trägt ebenfalls maßgeblich zum Erscheinungsbild eines Sichtmauerwerks bei. Je mehr sich die Backsteine in Form und Größe unterscheiden, desto dicker müssen die Mörtelschichten sein, in die sie gebettet werden [2]. Auch das Anmischen des Mörtels ist eine Kunst für sich: Der wichtigste Anteil, der Kalk, ist weiß, wird aber durch das Beimischen von Sand gelblich. Durch das Hinzufügen von Ziegelstaub erhielten die Fugen in der byzantinischen Zeit eine eher rötliche Farbe, im viktorianischen London mischte man gerne Ruß unter, um bei den Fugen einen eher schwarzen Farbton zu erzielen. Auch das nachträgliche Bearbeiten der Fugen durch Auskratzen, Abschrägen, Einfügen von Steinsplittern, Einritzen von Linien und vieles mehr gehört zum reichhaltigen Gestaltungsrepertoire der Maurer – wenn sie es denn (noch) beherrschen.
Konservierung von Sichtmauerwerk aus Backstein
Die vielen erhaltenen Bauwerke mit ihren Fassaden aus Sichtmauerwerk belegen, wie beständig der Backstein der Witterung zu trotzen versteht. Dennoch hinterlassen mangelhafte Instandhaltung, Frost, Feuchte, abbröckelnder Mörtel und vor allem die seit hundert Jahren zunehmende Luftverschmutzung – vor allem durch Schwefeldioxid – kariöse Spuren und zersetzen die Oberflächen mehr und mehr. Besonders gravierend jedoch können sich falsche Reinigungsverfahren auswirken – Strahlreinigen und Säurepolieren zerstören Backstein und Terrakotta unwiederbringlich. Die Reinigung und das Konservieren erhaltenswerter Backsteinfassaden gehört daher in die Hände erfahrener Spezialisten und Konservatoren.
Im Zuge der späten Erkenntnis, wie schön es doch wäre, die alten Backsteinfassaden zu erhalten, stieg weltweit die Nachfrage nach alten, oft gar handgestrichenen Ziegelsteinen. Eine ergiebige Quelle für originale alte Backsteine können verfallene oder die Überreste abgerissener Gebäude sein – es gibt viele kleine Händler, die auf diesem Weg alte Backsteine retten, lagern und stückweise oder als ganze Palettenware verkaufen. Einfacher ist es, nach kleinen Manufakturen zu recherchieren, die noch heute handgestrichene Ziegel nach altem Verfahren herstellen. Manche dieser Spezialziegeleien stellen sogar noch Terrakotta her – alles das natürlich zum vier- bis fünffachen Preis eines industriell gepressten, beliebig austauschbaren Massenziegelproduktes.
Die lange und sehr umfangreiche Geschichte des Backsteins, der weltweit repräsentativen wie gewöhnlichen Fassaden einen unverwechselbaren Charakter verleiht und bis heute von Architekten gerne als Gestaltungsmittel verwendet wird, lässt hoffen, dass auch in Zukunft die Kunst des Sichtmauerwerks Bestand haben wird. Das bedeutet: Es liegt an uns Planern, alte Backsteinfassaden zu erhalten und bei Neubauten heutige Wärmeschutzanforderungen mit mehrschaligen Ziegelfassaden zu kombinieren.

Literatur

[1] Campbell, W. P. James und William Price, Backstein: eine Architekturgeschichte – von den Anfängen bis zur Gegenwart, Knesebeck GmbH & Co. Verlags KG, München, 2003
[2] brick ´12, Georg D. W. Callwey Verlag, München, 2012

Auswahl an Händlern, die originale alte Backsteine anbieten:

Auswahl an Manufakturen, die Backsteine nach alter Tradition fertigen:
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