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Vom Umgang mit leichten Wölbkonstruktionen in historischen Gebäuden

Leichte Wölbkonstruktionen bei historischen Gebäuden
Vermeintlich massiv

Nicht immer ist Architektur so massiv, wie sie zunächst erscheint. Ob reich dekoriertes Deckengewölbe einer barocken Kirche, wilhelminische Saaldecke des Reichstags in Berlin oder hölzerne gotische Spitztonnendecke, die sich steinern gibt: Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie als Leichtbaukonstruktionen aus Holz, Putz und Eisen in unterschiedlichen Spielarten erstellt worden sind. Wir schauen hinter die Oberflächen und betrachten Konstruktionsweisen und Schadensfälle.

Text: Christian Kayser

Leichte Holzkonstruktionen als Alternativen zu Steingewölben sind schon seit Jahrhunderten bekannt. Bereits im Mittelalter wurden hölzerne »Gewölbe« errichtet, die sich formal eng an Steinkonstruktionen anlehnen. Beispiele für hölzerne Spitztonnen etwa sind bis heute in verschiedenen Kirchen und repräsentativen Sälen wie z. B. in den mittelalterlichen Rathäusern von München oder Nürnberg erhalten. Teils wurden sogar Kreuzgewölbe in Holz nachgebildet, bei denen die Formanalogie zu Steingewölben so weit getrieben wurde, dass entlang der Gewölbegrate hölzerne Rippen angebracht wurden, wie in der gotischen Halle des Rathauses in Blaubeuren [1].
Technisch sind die hölzernen Wölbflächen meist als Brett- oder Bohlenschalung ausgebildet, die unterseitig an die Stuhlstreben eines Dachwerks oder an eigenständige »Spantenbögen« genagelt sind. Ein in »Spantenbauweise« errichtetes Holzgewölbe ähnelt dabei in der Draufsicht einem umgedrehten Schiffsrumpf [2].
Konstruktiv haben die hölzernen Gewölbe gegenüber ihren steinernen Vorbildern den erheblichen Vorteil, dass sie an ihren Auflagern keinen bzw. nur einen geringen Horizontalschub auf die Widerlager ausüben. Dadurch kann auf mächtige Stützmauern und Strebepfeiler zur Abfangung der Kräfte verzichtet werden.
Gegenüber den formal noch recht strengen mittelalterlichen Holzgewölbe-Varianten kommt es im Barock geradewegs zu einer »Explosion« an Formen und Konstruktionen. Der Wunsch, weit gespannte, leichte Deckenflächen über unterschiedlichen Grundrissgeometrien zu schaffen, konnte mit den hölzernen Leichtbaukonstruktionen hervorragend erfüllt werden. So festlich anmutende Raumexperimente wie die Wieskirche, der Steinerne Saal des Klosters Raitenhaslach [3a-c] oder die Kuppel der Wiblinger Abteikirche wurden erst durch den Einsatz von Holzgewölben möglich.
Für die Klosterkirche Neresheim hatte der geniale Baumeister Balthasar Neumann zunächst steinerne Gewölbe entworfen. Nach seinem frühen Tod traute der Konvent jedoch niemandem, auch nicht Neumanns Sohn, die Ausführung des technischen Wagnisses zu. Verwirklicht wurde die Raumvision dann letztlich mit statisch weniger bedenklichen Holzgewölben, die im Innenraum, da verputzt, nicht ablesbar sind.
Die barocken Holzgewölbe unterscheiden sich besonders darin, dass sie durchgängig unterseitig als Träger für die freskale Gestaltung und Stuckornamente dienenden Putzlagen bekleidet sind, von ihren mittelalterlichen Vorgängern. Um die oft mehrere Zentimeter starken Putzschichten an der Holzkonstruktion fest anhaften zu lassen, wurden unterschiedliche Trägerkonstruktionen verwendet. Kamen etwa die bei den frühen Holzgewölben üblichen Brettschalungen zum Einsatz, konnten unterseitig Spaltruten oder Schilfrohre als Putzträger aufgenagelt werden. Häufig jedoch wurde auf die Schalung vollständig verzichtet, und an den tragenden Balken oder Spanten wurden keilförmig hinterschnittene Latten befestigt, zwischen denen sich der aufgetragene Putz »einkrallen« konnte. Außerdem wurden dem Deckenputz für eine bessere Festigkeit häufig Pferdehaare als »Zugbewehrung« beigemengt.
Ab dem 19. Jahrhundert: Metall statt Holz
Der barocken Leichtbautechnik aus Holz und Putz erwuchs erst etwa ab Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Aufkommen neuer, industriell erzeugter Baumaterialien Konkurrenz. Die zunehmend kostengünstig zur Verfügung stehenden Eisenbaustoffe ermöglichten leistungsfähige Alternativen zu den bis dahin üblichen Holzkonstruktionen. So wurden nun »Leichtbaugewölbe« entwickelt, bei denen Draht und Eisenbauteile die Unterkonstruktionen und Tragwerke aus Holz ersetzten. In rascher Innovationsfolge in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wurden unterschiedliche Varianten von »Drahtputzgewölben« entwickelt und patentiert. Ihnen allen liegt ein gemeinsames Konzept zugrunde: Der die Raumschale bildende Putz wird auf ein Trägermaterial aufgetragen, das in der Fläche zwischen eiserne Hauptträger gespannt ist. Diese wiederum sind üblicherweise mit Abhängungen an einem oberhalb angeordneten Tragwerk – etwa einer Dachkonstruktion – befestigt [4]. Vereinzelt wurden auch vollständig selbsttragende Drahtputzkonstruktionen entworfen.
Die verschiedenen Varianten der Drahtputzgewölbe unterscheiden sich u. a. in Bezug auf die verwendeten Putzsysteme. Neben den bereits im Barock üblichen Putzmörteln auf Kalk- oder Gipsbasis standen nun auch rasch erhärtende Bindemittel wie Romanzement und schließlich Portlandzement zur Verfügung. Auch mit den Trägermaterialien wurde umfassend experimentiert. Zu den weiterhin verbreiteten Schilfmatten traten Drahtgeflechte, Streckmetalle oder schließlich die bis heute üblichen, mit Tonstücken versehenen Putzgitter. Daneben finden sich aber auch (aus heutiger Sicht) ungewöhnliche Materialien wie etwa Stroh, Reisigbündel und Sackleinen [5]. ›
› Eines der frühesten Beispiele für Drahtputzgewölbe in Mitteleuropa findet sich bereits um 1840 an Friedrich August Stülers Neuem Museum in Berlin. Bekannt wurde die Bauweise jedoch v. a. durch die Arbeiten und die Erfindungen von Carl Rabitz, der für eine besondere Art der Drahtputzbauweise mit Gipsputz 1878 ein Patent anmelden konnte. Für den Berliner Maurermeister stand als wesentlicher Vorteil der Drahtputzbauweise ihre bemerkenswert hohe Brandsicherheit im Vordergrund. Seine Entwicklung war von derart nachhaltigem Einfluss, dass bis heute Drahtputzkonstruktionen, gleich welcher Spielart, unterschiedslos als »Rabitzbauweise« bezeichnet werden!
In gewisser Weise bildete die Drahtputzbauweise auch einen der Ausgangspunkte für die Entwicklung des modernen Stahlbetons, oder, wie es zunächst hieß, der »Eisenbetonbauweise«. Die ersten Eisenbetonkonstruktionen des Gärtners und Erfinders Joseph Monier – zunächst Pflanzkübel, aber dann auch kleine Gartenstaffagebauten wie Pavillons und Grotten – sind nichts anderes als Drahtputzkonstruktionen aus Eisendraht-Trägergewebe und einer Mörtelummantelung auf Grundlage des modernen Portlandzements.
Der Erfolg der modernen Drahtputzbauweise war durchschlagend. Drahtputzdecken kamen gleichermaßen am wilhelminischen Berliner Reichstag, bei Dominikus Böhms expressionistischen Kirchenbauten wie etwa der Kriegergedächtniskirche St. Johannes Baptist in Neu-Ulm [6] oder an den Deckenkonstruktionen im Innern der nationalsozialistischen »Zeppelintribüne« zum Einsatz (s. auch S. 140). Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs wurden verschiedene vormalige Steingewölbe historischer Kirchenbauten durch Drahtputzkonstruktion ersetzt, etwa bei der ausgebrannten Dresdner Trinitatiskathedrale oder der Augsburger Moritzkirche, bei der Drahtputzkuppeln sogar mit Holzgewölbeflächen kombiniert wurden [7a/b]. Drahtputz eignete sich jedoch auch vorzüglich zur Modellierung der heiter-geschwungenen Nierenformen der 50er Jahre. Etwas stiller wurde es um die Drahtputzgewölbe erst mit dem Siegeszug des International Stils, und seinem Credo »ehrlicher« Bauformen, das wenig Raum für das Spiel mit leichten Putzgewölben ließ. Und doch überdauerte die Drahtputzbauweise mitunter in fragwürdiger Form, ob als bauernstubenartiges Kreuzgewölbe im Ausflugslokal oder als eingewölbter Vorbau einer »toskanischen« Villa im Neubauviertel, bis heute.
Im Schadensfall
Holz- wie auch Drahtputzgewölbe sind durch die konstruktive Verschränkung mit oberhalb bestehenden Tragwerken, v. a. Dachkonstruktionen, anfällig für Schäden. Deren Verformungen ziehen unmittelbare Auswirkungen auf das abgehängte Gewölbe nach sich. Die häufig auftretenden Fäulnisschäden beispielsweise an den Fußpunkten barocker Dachwerke können zu Absenkungen von Balken auf das fragile Holzgewölbe führen – im Innenraum ist dies dann durch Rissbildungen an den Deckenuntersichten oder gar an herabfallenden Putzteilen erkennbar.
Auch die Abhängekonstruktionen zwischen Tragwerk und Leichtbaugewölbe sind anfällig für Schäden. Die hölzernen Spanten, an denen die Putzdecken befestigt sind, reißen bei ungünstiger Belastung entweder aus ihren Befestigungen an der Dachkonstruktion aus [8] oder lösen sich von den als Putzträger dienenden Bohlen oder Latten. Bei Drahtputzgewölben können die dünnen Zugstäbe durch Korrosion zersetzt werden oder sich an den Befestigungspunkten aufbiegen.
Die Wölbkonstruktionen selbst sind häufig durch Feuchte beeinträchtigt. Wasser, das etwa durch Undichtigkeiten in der Dachhaut eindringt, sammelt sich meist in Zwickeln und Kehlen auf der Gewölbeoberseite. Ganz gleich, ob die Tragkonstruktion aus Holz oder Eisen gefügt ist, die Folgen davon sind gleichermaßen fatal. So finden sich bei der Untersuchung barocker Holzgewölbe häufig Konstruktionen, an denen sowohl das Tragwerk als auch die Schalung, die den Putz trägt, bereits vollständig zersetzt sind und nur noch die dünne Putzschicht übrig ist! Bei Drahtputzkonstruktionen wiederum droht in Folge dauernder Durchfeuchtung Korrosion an den Hauptträgern und der Aufhängung. Ist auch der Putzträger aus Metall, kann es sogar zur vollständigen Auflösung des Gefüges [9] kommen. Die erhebliche Volumenvergrößerung des Korrosionsprodukts gegenüber dem Ausgangsmaterial kann eine Aufsprengung der Putzflächen bis hin zum Absturz ganzer Partien der Raumschale bewirken. Auch die Verwendung von Zementputz, der durch sein basisches Milieu die Eiseneinlage eigentlich schützen sollte, bewährt sich langfristig nicht: die nur wenige Zentimeter dünne Mörtelschicht verliert durch eine Reaktion mit dem Kohlenstoff aus der Umgebung innerhalb weniger Jahre ihre schützende Alkalität.
Bevor eine Instandsetzung einer schadhaften Raumschale beginnen kann, muss sie zunächst – so weit nicht vollständig zerstört – gesichert und abgestützt werden. Besonders heikel ist dies bei barocken Putzdecken mit ihren oft reichen Oberflächengestaltungen. Die Abstützung sollte unbedingt erschütterungssicher vorgenommen werden. Es ist also kontraproduktiv, die Decke einfach mit Latten auf einem unterhalb gestellten Gerüst, über das Handwerker laufen, abzustützen.
Die eigentliche Instandsetzung schadhafter Holz- oder Drahtputzgewölbe ist häufig außerordentlich aufwendig und sollte nur von einem erfahrenen Team aus Restauratoren, Tragwerksplanern und Architekten in individueller Abstimmung der Maßnahme auf das jeweilige Schadensbild unternommen werden. In vielen Fällen ist hier »Zahnarztarbeit« mit vorsichtigem Rückbau schadhafter Bereiche und schrittweisem Neuaufbau der mehrlagigen Konstruktion erforderlich. •
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