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Präzedenzfall in Mannheim

Energetische Sanierung der Kunsthalle Mannheim
Präzedenzfall in Mannheim

Neben komplexen organisatorischen und technischen Anforderungen ist die energetische Sanierung von Museumsbauten eine besondere Herausforderung. Um die Ansprüche nach flexiblen Ausstellungsflächen bei sensiblen Klimaparametern in den Innenräumen zu erfüllen, ist ein akribisch aufeinander abgestimmtes Gesamt- konzept Voraussetzung.

Text: Johann Reiß, Lars Klemm, Volker Huckemann Fotos: Cem Yücetas; Brigida González

Seit über 100 Jahren prägt die im Jahr 1907 fertiggestellte Kunsthalle Mannheim das kulturelle Leben der Stadt und nimmt durch ihre hochklassige Sammlung eine bedeutende Stellung in der deutschen Museumslandschaft ein. Die 2 150 Gemälde, 840 Skulpturen und ca. 33 000 Blatt Handzeichnungen, Aquarelle und Druckgrafiken umfassende Sammlung gehört zu den renommiertesten Bürgersammlungen der Moderne und Gegenwart. Der Baukörper setzt sich aus dem Billing- sowie dem Athene-Trakt zusammen, beide entstanden 1907, sowie dem 1983 realisierten Mitzlaff-Bau. In den letzten Jahren zeigten sich an den Gebäuden verschiedene Schwächen, woraus die Sorge resultierte, dass die hohen Ansprüche einer internationalen Kunstvermittlung vom Mannheimer Haus künftig nicht mehr erfüllt werden könnten. Weder entsprach das Museum internationalen Standards bezüglich der Raumstruktur und Gebäudetechnik noch wurden Ausstellungsräume, Eingangsbereich und Servicezonen in Ausstattung und Funktionalität den gegenwärtigen Museumsprofilen gerecht. Mit dieser Ausgangssituation kann die Kunsthalle als typischer Vertreter von Museen dieser Altersklasse gelten. Die Konzeption der Sanierung warf daher Themen auf, die in vielen anderen der über 7 000 Ausstellungshäuser in Deutschland ebenfalls anstehen.
In Mannheim führte die Ausgangslage zu einer kontroversen Diskussion. Als Zielsetzung galt es, eine kulturelle und städtebauliche Signalwirkung mit einem komplexen zeitgemäßen Museumskonzept zu verbinden. Die zwischen 2010 und Mitte 2013 erfolgte Sanierung des Billing-Baus wurde nach den Plänen des Berliner Architekturbüros Pitz & Hoh ausgeführt. Um das Haus während der Sanierung nicht vollständig schließen zu müssen, wurde der Museumsbetrieb im Mitzlaff-Bau fortgeführt. Als Ziel der Sanierung galt die Wiederherstellung der historischen Schauräume mit Tageslichtdecken, die bei vorausgegangenen Umbauten aufgrund raumklimatischer Schwierigkeiten umgestaltet worden waren. Darüber hinaus sollte durch die Erweiterung der Ausstellungsflächen und eine nachhaltige technische Ausstattung zukünftig ein publikumswirksamer Ausstellungsbetrieb ermöglicht werden. Seinen Originalzustand hatte das nach den Entwürfen des Karlsruher Architekten Hermann Billing (1867-1946) errichtete Baudenkmal im Bereich der Konstruktion wie auch der äußeren Gestalt weitgehend bewahrt. Charakteristisch für die Zeit seiner Erbauung ist die Betonskelettbauweise. Sämtliche tragenden Elemente sowie die Decken bestehen aus Eisenbeton, während die Wandkonstruktion ein mehrschaliges Mauerwerk aufweist.
Vor der Sanierung
Mit einer Studie zum erschließbaren Energieeinsparpotenzial durch eine energetische Sanierung beauftragte die Stadt Mannheim neben dem Fraunhofer-Institut für Bauphysik das Institut für Gebäude- und Solartechnik der Universität Braunschweig. Für die energetische Bewertung des Gebäudes nach DIN V 18599 wurden ermittelte und angenommene U-Werte einander gegenübergestellt. Zum Vergleich wurden die Werte nach der Baualtersklasse (BAK) sowie die Anforderungen der geltenden EnEV herangezogen. Hierbei musste berücksichtigt werden, dass die speziellen Nutzungsanforderungen von Museen im Vergleich weder durch die Baualtersklassen noch durch die DIN V 18599 adäquat abgebildet werden können. Eine standardisierte Klassifizierung von Museen wird dabei insbesondere durch die nutzungsspezifischen Ausrichtungen und Sammlungsorientierungen der Häuser erschwert.
Ursprünglich hatte Hermann Billing vorgesehen, die Ausstellungsräume im OG über das Glasdach mit abgehängter Glasdecke zu belichten. Damit folgte das Gebäude der klassischen Museums- und Ausstellungsbeleuchtung des 18. Jahrhunderts. Während einer zurückliegenden Umbauphase wurde diese Belichtungsmöglichkeit jedoch durch eine Deckendämmung überbaut und die neu installierte Holzdecke mit Leuchtstoffröhren besetzt. Temperaturschwankungen, die aus den hohen Solarenergieeinträgen des nach wie vor bestehenden Glasdach resultierten, mussten jedoch über eine Klimaanlage kompensiert werden. Das Gegensteuern der Klimaanlage verursachte dabei regelmäßig Schwankungen von Temperatur und relativer Feuchte, die den Kunstwerken nicht zuträglich sind.
Sanierungskonzept und bauliche Umsetzung
Von Beginn an war das Bestreben, die selbst gesetzten, energetisch ambitionierten Vorgaben zu erfüllen, ohne dabei den Charakter des Gebäudes zu gefährden. Die architektonische Umgestaltung erforderte jedoch, zunächst die ursprünglichen Funktionen des Hauses wieder den ursprünglichen Räumen zuzuordnen, sodass die beiden Hauptgeschosse wieder zu Ausstellungsflächen umgenutzt wurden. Ein hohes Potenzial zur Energieeinsparung bot der Austausch des nur einfachverglasten Dachs des Billing-Baus. Neben umfassenden Dämmmaßnahmen wurden die Oberlichter des historischen Obergeschosssaals wieder aktiviert, die Zwischenebene entfernt und die dämmende Hüllfläche in die Dachebene verlegt. Die einfach verglasten Dachfenster fanden in einer Zweischeiben-Spiegelrasterverglasung Ersatz. Der für den Lichtschutz notwendige UV-Filter wurde in die Deckenverglasung eingebracht. Hierbei handelt es sich um eine Sicherheitsverglasung, die eine Filterwirkung für UV-Anteile unter 400 nm aufweist.
Der ungedämmte Fußboden im UG des Gebäudes, in dem künftig Büroräume untergebracht werden sollten, wurde im Zuge der Sanierung mit extrudiertem Polystyrol gedämmt. Die ›
› Entscheidung gegen eine Außendämmung der historischen Fassaden führte schließlich zur Prüfung und Realisierung von Systemen, die sich als Innendämmung anboten. Dafür kamen im UG 25 mm und im OG 30 mm dicke Kalziumsilikatplatten zum Einsatz. Dank dieser Innendämmung konnte der U-Wert der Fassade auf 0,54 und 0,87 W/m²K reduziert werden. Die Kalziumsilikatplatten wurden aufgrund ihrer Eigenschaften ausgewählt, da sie sowohl die hygrothermischen Anforderungen für den Einsatz ohne Dampfsperre erfüllen und gleichzeitig bei geringer Dicke über die notwendige Dämmleistung verfügen. Sämtliche Holzfenster des ursprünglichen Baus wurden erhalten. Um den Wärmeschutz zu verbessern, ist jedoch die Raumseite jeder Nische durch ein zusätzliches wärmeschutzverglastes Fenster ergänzt worden. Gegen den Einfall von besonders kurzwelliger UV-Strahlung wurde für die Außenseite der inneren Fenster alubedampftes Glas verwendet. Die Konditionierung der Raumtemperatur erfolgt künftig über Flächenheizungen. Hierzu wurde die Aktivierung von Wänden und Fußböden sowie die Deckensegel realisiert. Indem die wasserführenden Leitungen direkt in das Dämmmaterial eingepasst wurden, gelang es, die Innendämmung samt der für Flächentemperierung erforderten Installation in einem Bauteil zu kombinieren. Durch die Temperierung der Innendämmung konnte ebenfalls das Problem kalter Wände behoben werden, das in vielen Museen vorherrscht. Die zentrale Wärmeerzeugung erfolgt weiterhin durch den Fernwärmeanschluss. Zur Kühlung im Sommer wird die Absorptionskältemaschine ebenfalls mit Fernwärme betrieben. Hinsichtlich der Tageslichtnutzung stellt die Reaktivierung der Tageslichtdecken in den Ausstellungsräumen des OG eine bedeutende Maßnahme dar, da hierdurch Beleuchtungsenergie eingespart wird und zugleich der visuelle Komfort erhöht werden kann. Im EG werden die Räume wie bisher seitlich über die existierenden Fenster mit Tageslicht versorgt. Die Lichtsituation wird in den Ausstellungsräumen mit präsenzabhängig gedimmten LED-Strahlern ergänzt, um eine möglichst homogene Bildbeleuchtung zu erzielen.
Ausblick
Im Hinblick auf anstehende Sanierungen stellen die erarbeiteten Konzepte für zahlreiche Museen wertvolle Erkenntnisse dar. Jener Wissensstand, der durch die Umsetzung und das begleitende Monitoring erarbeitet wird bildet die Basis für Adaptionen an Museumsbauten ähnlicher Baualtersklassen. Die Nutzung von Tageslicht in musealen Ausstellungsräumen bildet sich als zunehmend wichtiger Aspekt im modernen Kunstbetrieb heraus. Der Mannheimer Lösungsansatz kann sowohl auf bestehende Oberlichtkonstruktionen in historischen Gebäuden, als auch für Neubauten übertragen werden. Ebenso lässt sich die Situation der erarbeiteten Innenwandlösung als Wandheizung bzw. Dämmvariante für nahezu jeglichen Gebäudetyp verwenden. Die freien Wandzonen ohne Temperierung können je nach Museum erweitert oder reduziert werden. Das Innendämmungssystem wird dem Baudenkmalschutz gerecht und stellt damit einen unerlässlichen Baustein für energetische Sanierungsarbeit in historisch bedeutenden Altbauten dar. •
Standort: Friedrichsplatz 4, 68165 Mannheim Bauherr/Projektleitung: Stadt Mannheim, Hochbauamt Projektsteuerung: Obermeyer Planen + Beraten GmbH, München Architektur: Pitz & Hoh. Architektur und Denkmalpflege GmbH, Berlin; Walter + Wünsch, Architektur- und Ingenieurgesellschaft, Heidelberg Technische Gebäudeausrüstung: tif ingenieure, Mannheim (Sicherheit); BWI-Ingenieur-Consult GmbH, Engelsbach (HLS); Atelier de Luxe, Offenbach (Kunstlicht); Prof. Volker Huckemann, Hochschule Bochum (Tageslichtplanung OG); Thorsten Braun, Die Lichtplaner, Innsbruck u. a. (Tageslichtplanung EG) Energiekonzept: Fraunhofer-Institut für Bauphysik; Institut für Gebäude und Solartechnik der Universität Braunschweig Baukosten: keine Angabe Bauzeit: 2010 bis 2013

Energetisch sanieren (S. 110)

Johann Reiß (l.)
Studium des Bauingenieurwesens in Konstanz und der Physik in Heidelberg. Seit 1983 Mitarbeit beim Fraunhofer-Institut für Bauphysik, Leitung der Gruppe Gebäudesysteme. Betreuung von Demonstrationsprojekten im Bereich der energetischen Effizienzsteigerung.
Lars Klemm (r.)
Studium der Konservierung, Restaurierung und Kunsttechnologie an der TU München. Seit 2005 Mitarbeit am Fraunhofer-Institut für Bauphysik. Schwerpunkt Sanierung und Neubau von Museen und Archiven.
Volker Huckemann
Architekturstudium an der TU Braunschweig. Bis 2012 Mitarbeit am dortigen Institut für Gebäude- und Solartechnik. Leitung mehrerer Forschungsprojekte. 2008-12 Koordination von »Nachhaltige Sanierung von Museumsbauten« des BMWi. Seit 2012 Professur in Bochum.
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