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Ausweitung der Kampfzone

Das Erbe des Europäischen Denkmalschutzjahres 1975
Ausweitung der Kampfzone

Vor genau 40 Jahren hat das Europäische Denkmalschutzjahr die öffentliche Wahrnehmung unseres baulichen Erbes verändert. Zeit für eine Zwischenbilanz: Wie hat sich die Situation seit 1975 gewandelt? Vor welchen Herausforderungen stehen wir heute?

Text: Jürgen Tietz

»Eine Zukunft für unsere Vergangenheit« – unter diesem programmatischen Titel tourte 1975 eine Ausstellung durch Deutschland. Sie war vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege konzipiert worden und warb für das Europäische Denkmalschutzjahr. Ein Blick in den begleitenden Katalog von damals macht schnell klar, wer Mitte der 70er Jahre in Sachen Städtebau, Architektur und Denkmalpflege die Guten waren – und wer die Bösen. In apodiktischen Bildpaaren stellten die Herausgeber malerische Fachwerkbauten neben »anonyme« Großsiedlungen und positionierten reich dekorierte Fassaden der Gründerzeit neben die reduzierten Bauten der Moderne. 40 Jahre später funktioniert diese Schwarzweiß-Bildstrategie, die aus schönster Kunsthistorikerdidaktik gespeist war, allerdings nicht mehr. Längst sind etliche der einst verhassten Zeugnisse der Moderne selbst zum Gegenstand von Denkmalschutz und Denkmalpflege geworden.

Unterschiedliche Auffassungen
Es gehört zu den Verdiensten des Europäischen Denkmalschutzjahres, dass es in Deutschland den politischen Diskurs über Denkmale und die Notwendigkeit ihres Schutzes enorm gefördert hat. Was Mitte der 60er Jahre als breites bürgerschaftliches Engagement gegen Flächensanierung und die Zerstörungen von Einzeldenkmalen und Stadtensembles seinen Ursprung genommen hatte, das fand nun seinen politischen Widerhall. Dabei lehrt die Lektüre des Katalogs, dass es schon 1975 keine eine einheitliche Auffassung über den angemessenen Umgang mit der gebauten Geschichte gab. Einer der Autoren war Michael Petzet, einflussreicher bayerischer Landeskonservator und später lange Jahre streitbarer Weltpräsident des »International Council on Monuments and Sites« (ICOMOS), der die UNESCO in Sachen Welterbe berät. Er befürwortete schon damals in seinem Beitrag ein retrospektives Denkmalverständnis und trat für eine »saubere Rekonstruktion« ein. Demgegenüber zeichnete der spätere baden-württembergische Landeskonservator August Gebeßler im selben Katalog ein wesentlich differenzierteres Bild der Geschichte der Denkmalpflege und ihrer Aufgaben. Energisch trat Gebeßler für Behutsamkeit im Umgang mit dem gebauten Bestand und seinem Alterswert ein und positionierte sich gegen Hochglanzsanierung. Bis heute muss sein Katalogbeitrag als einer der Grundlagentexte der deutschen Denkmalpflege gelten. Die 1975 erkennbaren Unterschiede im Denkmalverständnis kennzeichneten die Denkmalpflege freilich schon seit ihren Anfängen im 19. Jahrhundert – und setzen sich bis heute fort. Also alles wie gehabt? Keineswegs!

Ausweitung der Kampfzone
Seit 1975 ist das wissenschaftliche und öffentliche Interesse an Denkmalen weiter gestiegen. Daraus resultiert ein genauerer Blick auf die Bedeutung von städtebaulichen Ensembles, denen mit der Städtebaulichen Denkmalpflege gerade im Osten Deutschlands nach 1990 ein finanziell gut ausgestattetes Instrument zur Rettung historischer Bausubstanz zur Verfügung stand. Zudem wurden seit 1975 auch ganz neue Denkmalgruppen erschlossen wie die Technischen- und die Industriedenkmale. Aber auch die Bauten der Moderne und selbst der Nachkriegsmoderne rückten ins Blickfeld. Dabei fiel dem »Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz« (DNK), das im Zusammenhang mit dem Denkmalschutzjahr entstand, eine wichtige Rolle zu. Als bindendes Glied für die föderal organisierten Denkmalämter, widmete es sich grundsätzlichen Fragestellungen, wie dem Städtebau der 50er und 60er Jahre oder – nach 1990 – dem Denkmalwert der Mauer.
Trotz einer »Ausweitung der Kampfzone« dank des erweiterten Denkmalbegriffs ist die Situation der Denkmalpflege bis heute gleichwohl ambivalent. Einerseits erfährt sie in ihrem ebenso mühsamen wie zähen Ringen um die Erhaltung des baukulturellen Erbes in der Öffentlichkeit Rückhalt. Das zeigen nicht nur die begeisterten Besucher am jährlichen Tag des offenen Denkmals, sondern auch die zahlreichen bürgerschaftlichen Initiativen zum Schutz historischer Bauten.

Problemfelder heute
Anderseits hängt der amtlichen Denkmalpflege der negative Ruf des Verhinderers an. Licht und Schatten gibt es sowohl bei einzelnen Instandsetzungen als auch bei der grundsätzlichen Haltung der Denkmalbehörden in den Bundesländern. Häufig kann sich die amtliche Denkmalpflege dabei im Chor der unterschiedlichen öffentlichen Belange nicht durchsetzen. Das wäre nicht so schlimm, Denkmalpflege ist schließlich nicht allein auf der Welt und es können durchaus andere Argumente in der Stadtentwicklung überwiegen. Ärgerlich aber ist es, dass das fachliche Urteil der Denkmalbehörden oft genug durch politische Entscheidungsträger ausgehebelt wird. Die Amtsleitungen dürfen dann diese politischen Entscheidungen nur noch abnicken, selbst wenn sie dem fachlichen Votum widersprechen. Gelegentlich werden zudem zweifelsfrei erkannte Denkmale auf politischen Druck hin lieber gar nicht erst in die Denkmallisten aufgenommen. Noch ärgerlicher aber ist es, wenn der öffentliche Bauherr seiner Vorbildfunktion im Umgang mit Denkmalen nicht nachkommt, sondern wenn im Gegenteil an Denkmale im öffentlichen Besitz lockerere Maßstäbe gelegt werden als bei privaten Bauherren – bis hin zum Abriss.
Dieses Vorgehen trägt entscheidend dazu bei, dass das Handeln »der« Denkmalpflege in der Öffentlichkeit häufig als wetterwendisch und nicht nachvollziehbar wahrgenommen wird. Es schadet dem Image der Denkmalpflege – und damit vor allem ihren Schützlingen, den Denkmalen. Gerade die stehen derzeit in Deutschland trotz mancher rekonstruierender Vergangenheitsliebe (die sich u.a. auch aus dem Europäischen Denkmalschutzjahr 1975 speist) immer noch und immer wieder unter erheblichem Druck. Dabei stellen sich Fragen, auf die es bisher wenige Antworten gibt:

Neue Aufgaben
Was geschieht mit jahrelang leerstehenden Denkmalen im zunehmend entvölkerten ländlichen Raum oder in schrumpfenden Städten?
Wie können andererseits Denkmale in den stark wachsenden Städten erhalten werden, in denen von Düsseldorf über Hamburg bis Berlin und München ein dramatischer Nutzungs- und Verdichtungsdruck herrscht?
Gute Beispiele, wie historische Bauten in eine denkmalpflegerisch und wirtschaftlich verträgliche neue Nutzung kommen, gibt es viele. Gleichwohl spielen die Denkmale in jenen Städten, die unter starkem Verdichtungsdruck stehen, meist nur eine untergeordnete Rolle. Da wird die raumgreifende Pavillonschule der 70er Jahre trotz des vorhandenen Denkmalschutzes für eine neue Wohnbebauung geopfert, eine Industrieanlage des 19. Jahrhunderts für eine »wirtschaftlichere« Grundstücksausnutzung abgeräumt oder die Ausschreibung für die Sanierung von Hochhausscheiben so formuliert, das eigentlich nur noch der Abriss des Denkmals wirtschaftlich erscheint.
So ist Deutschland 40 Jahre nach dem Europäischen Denkmalschutzjahr 1975 – trotz vieler Sonntagsreden über die Bedeutung der Baukultur und das Erbe der „europäischen Stadt“ – vielerorts noch immer sehr weit von einer Planungs- und Baukultur entfernt, die das vielschichtige historische Erbe als eine eigene Qualität wertschätzt und es entsprechend seiner Bedeutung zum Ausgangspunkt einer differenziert agierenden Stadtplanung macht.

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