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Ortswechsel

Bühnenarchitektur für »Euryanthe« in Frankfurt A. M.
Ortswechsel

Ballsaal statt Ritterkulisse: An der Frankfurter Oper zeigt Regisseur Johannes Erath die mittelalterliche Handlung in Carl Maria von Webers »Euryanthe« als Strategiespiel an neuzeitlichen Schauplätzen. Den sehenswerten äußeren Rahmen schuf Bühnenbildnerin Heike Scheele.

~Franziska Puhan-Schulz

Trotz allgegenwärtiger Sparzwänge durfte scheinbar aus dem Vollen geschöpft werden – und es hat sich gelohnt: Heike Scheeles aufwendige Bühne für Carl Maria von Webers (1786-1826) »Euryanthe« an der Frankfurter Neuen Oper beeindruckt die Zuschauer seit der Premiere im April durch steten Wandel. Wie schon im preisgekrönten Parsifal in Bayreuth nutzt sie die technischen Möglichkeiten gekonnt aus und erzeugt mittels Drehbühnen ein dynamisches, dabei stets stimmiges Gesamtbild. »Das ist ein Ort, an dem man groß denken kann«, freut sich Scheele auch über die gute Zusammenarbeit im Team, zu dem u. a. Regisseur Johannes Erath, Kostümbildnerin Gesine Völlm, Dramaturg Zsolt Horpácsy und Roland Kluttig für die musikalische Leitung gehören. Gemeinsam fragten sie sich zunächst, wie zeitgemäß die ursprünglichen Handlungsorte und Protagonisten der Oper – Ritter in mittelalterlichen Schlössern und Gewölben – heute überhaupt noch sind. Die Textvorlage, der Dichterin Helmina von Chézy (1783-1856) einst folgte, stammt schließlich aus dem 13. Jahrhundert. Wann und wo sollte die Geschichte nun also spielen? Als zeitlos stellte sich ihnen dagegen der thematische Konfliktbereich der leitenden Emotionen dar: Liebe und Vergeltung.
Die Handlung der Oper, die 1823 uraufgeführt wurde, ist schnell erzählt: Sie spielt in Frankreich, zu Beginn des 12. Jahrhunderts, nach dem Frieden mit England. Graf Adolar steht kurz vor der Vermählung mit Euryanthe. Graf Lysiart, der Adolar sein Glück nicht gönnt, wettet mit ihm unter Einsatz ihrer Ländereien, Euryanthe der Untreue überführen zu können. Mit der Hilfe Eglantines, die ihrerseits Emotionen für Adolar hegt, gelingt es ihm, dem Bräutigam die vermeidliche Treulosigkeit Euryanthes glaubhaft zu machen. Im Wald rächt sich Adolar an Euryanthe dafür, dass sie das Geheimnis um den Ring seiner toten Schwester Emma verriet, indem er sie allein zurücklässt. Dort wird sie von König Ludwig VI. von Frankreich gefunden und kann diesen von ihrer Unschuld überzeugen. Adolar begreift nun erst die Intrige gegen seine Braut und macht sich auf den Weg zur bevorstehenden Hochzeit von Lysiart und Eglantine. Eglantine verfällt im letzten Auftritt dem Wahnsinn und wird von Lysiart getötet. In Webers »großer romantischer Oper« gibt es am Ende keine Helden und keine Sieger.
Szenografische Umsetzung
Nachdem sich das Produktionsteam inhaltlich mit dem Stück auseinandergesetzt hatte, schuf Scheele auf der zur Verfügung stehenden Fläche von ca. 300 m2 kongeniale Räume für die Darstellung. Wichtig ist ihr dabei, dass jedes einzelne Element des Bühnenbilds seine Berechtigung aus der dargestellten Handlung erhält. Überraschend findet sich der Betrachter im ersten Aufzug nicht in einer Kulisse der Nachkriegszeit des Jahres 1110, sondern in einer Umgebung wieder, die eher an die Blütezeit der romantischen Oper erinnert und den Bogen bis in die Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts spannt. Die Sänger wirken vor dem Glanz des zentralen, kupferfarbenen Vorhangs in ihren Kostümen ein wenig, als wären sie einem Filmset der Nouvelle Vague oder der Vogue der 50er Jahre entstiegen.
Hierzu passt der etwas morbide Charme eines in die Jahre gekommenen Ball- oder Casinosaals. In dessen Zentrum befindet sich als zweiter Spielort eine kleine hölzerne Bühne, hinter der zwei bewegliche, zunächst aber aneinandergefügte Ruinenteile aufragen. Umlaufend ordnete Scheele eine rustikal wirkende Bar-Theke an, die den Bildrand zusätzlich betont. Im Vordergrund ist das Motiv des Schachspiels – als wichtigstes inhaltliches Thema des Stücks – umgesetzt und verbildlicht: als Fußboden in schwarz-weißer Marmoroptik mit 1 m² großen Feldern. Dieser Bereich bietet Platz für den 80 Personen starken Opernchor und wird darüber hinaus auch mit Tischen und Stühlen bespielt. Am Schachtisch setzen die beiden Männer zu Beginn alles, was ihnen lieb ist; im symbolisch starken, finalen Bild wird er mit einer weißen Dame an die Wand projiziert.
Nicht nur in diesem Libretto der Romantik schwingt sich die Seele angesichts der Natur auf zu einem Gefühl der Erhabenheit. Hierfür ersann Scheele als späteren Hintergrund für die kleine »Bühne auf der Bühne« eine steinige und begrünte Insel, die mit drei Trauerzypressen ganz bewusst Anleihen an die Toteninseln des Schweizer Malers Arnold Böcklin (1827-1901) enthält. Im Vordergrund sitzt Euryanthe im weißen Kleid an Emmas Grabmal mit einem steinernen Engel, weiterhin umrahmt von den Ruinenteilen – ein durchwegs stimmiger Einsatz von Räumen und Symbolen. Am ungewöhnlichsten in diesem Gesamtbild wirken die erst später sichtbaren Rückseiten der beiden Ruinenarchitekturen, die auch versetzt bzw. einzeln aufgefahren werden. Erst dadurch offenbaren sie ihre eigentliche, dreidimensionale Konstruktion, die zunächst, in aneinandergefügter Anordnung, nur als flächige Ansicht wahrnehmbar war. Die beiden Aufbauten eignen sich hervorragend, um die Intimität eines Privatraums anzudeuten.
Das Drama der Emma braucht in der gewählten Interpretation des Stücks einen Ort der Versinnbildlichung auf der Bühne. Für die Auslegung dieser Figur – ein Geist, der nach dem Selbstmord nicht zur Ruhe kommt – stand die dunkle, schwermütige Seite der Romantik bzw. E.T.A. Hoffmanns Hin- und Herpendeln zwischen einer vermuteten realen und einer mit Fabelwesen bevölkerten, wunderbaren Welt Pate. Zur Unterstützung des atmosphärischen Wechsels zwischen Innen- und Außenraum, zwischen Tag und Nacht, wurden auf Wunsch Scheeles und des gesamten Teams sogar eigens Leuchtobjekte gebaut: satellitenähnliche, futuristisch anmutende Kugeln mit LEDs, die verschiedene Farbschichten erzeugen können – vom Warmton für die euphorische Feststimmung im Ballsaal (»Dem Frieden Heil nach Sturmestagen«) bis zu einem kühlen Blau des Sternenhimmels oder waberndem Licht – eine Art Wetterleuchten – für eine gespenstische Atmosphäre am Grab.
Architektur auf der Bühne
Für Entwurf und Umsetzung des Bühnenbilds stand Scheele insgesamt ein Jahr zur Verfügung. Verstand man unter »Szenografie« früher lediglich die Kunst der Bemalung, bietet sie spätestens seit den 80er Jahren Akteuren unterschiedlicher Provenienz ein Betätigungsfeld. Aus der Durchdringung der Professionen hat sich seither eine Art »Hyper-Disziplin« aus Architektur, Bühnenbild, Installationskunst und kuratorischer Praxis entwickelt. Dementsprechend gibt es inzwischen zahlreiche neue Ausbildungsgänge, an der TU in Berlin etwa den Masterstudiengang »Bühnenbild – Szenischer Raum«.
Zudem lässt sich beobachten, dass seit geraumer Zeit vermehrt Stararchitekten gebeten werden, Bühnenbilder für Theaterstücke und Opern zu schaffen: Herzog & de Meuron z. B. setzten für die Berliner Staatsoper in »Tristan und Isolde« im Bühnenhintergrund eine elastische Membran ein, die lichtdurchlässig war und mit dem Schattenwurf von Schiffstakelage spielte; in einer zweiten Ansicht befand sich im Vordergrund das Relief einer Treppe mit Mulden für die Hauptdarsteller, in pastellfarbenem Licht. Auch Daniel Libeskind schuf spannungsreiche Licht- und Schattenräume unterschiedlicher Formensprache in Greigs »The Architect« am Osloer Nationaltheater (1997) und fand ungewöhnliche räumliche Lösungen für »Saint Francois d’Assise« an der Deutschen Oper Berlin (2002). Ganz aktuell wurde Frank Gehry von der Berliner Staatsoper engagiert, um für Glucks »Orpheus und Eurydike« das Bühnenbild zu entwerfen (Premiere im März 2016).
So unterschiedlich die künstlerische, ästhetische Aussage dieser Bühnenarchitekturen auch sein mag, vielleicht ist allen gemeinsam, dass sie für spezifische Orte, für eine ganz bestimmte Geschichte, aus ihrer jeweiligen Zeit heraus »Seelenräume« schaffen, wie Architekt und Bühnenbildner Hans Dieter Schaal so stilsicher formulierte. Und das ist gewiss eine Kunst für sich. •
Die Autorin studierte Kunstgeschichte und Kulturanthropologie und arbeitet als Kunstvermittlerin, Dozentin und Architektur-/Ausstellungskritikerin.
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