1 Monat GRATIS testen, danach für nur 6,90€/Monat!
Startseite » Diskurs »

Münchens neue Kleider

Diskurs
Münchens neue Kleider

Private Partikularinteressen gewinnen mehr und mehr die Oberhand über die Planungshoheit der Stadtverwaltungen – derzeit besonders gut sichtbar bei einigen nicht offenen Wettbewerben für die Münchener Innenstadt.

~Karl J. Habermann

Im Widerspruch zu einschlägigen Klagerufen aus Politik und Immobilienwirtschaft, hat das Baugewerbe hier eine Menge zu tun; große Projekte sind im Bau oder in Planung. Kürzlich ließ eine Wettbewerbsmeldung besonders aufhorchen: Anstelle der erstplatzierten Lösung eines spanischen Architekturbüros soll aus Gründen der Stadtbildpflege eine unauffälligere Variante aus heimischer Produktion zur Ausführung kommen. Darauf haben sich Stadt und Investor einvernehmlich verständigt. Ein Blick auf die Vorgeschichte des Verfahrens: Die Landeshauptstadt München besitzt ein Grundstück mit Parkhaus aus dem Jahre 1970 in zentraler Lage. Es soll »zum Zwecke der Entwicklung und Realisierung einer städtebaulich hochwertigen Neubebauung« veräußert werden. Ein europaweites Ausschreibungsverfahren führt zu einem überschaubaren Teilnehmerkreis von vier Investoren. Der Gewinner hat vorab unter einer öffentlichen Verkehrsfläche an anderer Stelle Ersatzparkplätze zu schaffen und darf diese in der Folge 50 Jahre in Eigenregie betreiben. Danach ist die dann freiwerdende Fläche einer höherwertigen Nutzung zuzuführen. Der Vorgang gestaltet sich vor dem Außenstehenden hochkomplex mit langer Laufzeit und kaum kalkulierbarem Ausgang. Nach Vertragsabschluss ist das Tafelsilber weg und der Einfluss der öffentlichen Hand geht gegen Null.
Zurück zum Verfahren: Am beschränkten Architektenwettbewerb nehmen neun Büros teil. Es kommt zu einem eindeutigen Votum für die Lösung von Nieto Sobejano Arquitectos. Die Entscheidung wird von den Beteiligten unter Verschluss gehalten. In einer Phase der »Überarbeitung« erfolgt die Wende zur zweitplazierten Arbeit von Hild und K. Die höfliche Frage an den Investor nach den Juryprotokollen bleibt unbeantwortet. Natürlich kann man sich mit den Bedenken von Denkmalpflege und Stadtheimatpfleger gegenüber den Neubaukubaturen auseinandersetzen, aber dann bitte bei beiden Vorschlägen! Fehlen doch bei der Präsentation von Hild und K das von allen Mitbewerbern erbrachte Rendering von Süden und die kleinlaut in einem abschließenden Pressetext des Auslobers erwähnten »eingeschnittenen Dachgärten«: in Ansichten und Modell davon keine Spur. Dass die beiden Vorschläge der Endauswahl die einzigen diskutablen Lösungsansätze überhaupt waren, erlangt Bedeutung angesichts eines generellen Problems eingeladener Wettbewerbe bzw. Wettbewerben mit Vorauswahl: Die Schere in der Bandbreite der Möglichkeiten sowie in der Qualität der Entwürfe geht im Vergleich zu offenen Verfahren immer weiter auseinander. Junge Architekten bekommen kaum eine Chance, je in die Szene der etablierten Kollegen einzubrechen. Weitere Beispiele dafür gibt es allein in München genug. Nieto Sobejano Arquitectos waren auch beim Wettbewerb für den Neubau des Hotels Königshof am Stachus erfolgreich. Hier musste man sich als Kollege für die weitgehend unterdurchschnittliche Qualität der überschaubaren Beiträge aus namhaften Büros mitunter schämen. Wenn im Wettbewerb für ein Geschäftshaus in der Prannerstraße mit der Lösung von Diener und Diener unter ebenfalls nach Gutsherrenart ausgewählten Büros (bekannte Namen aus vorangegangenen Verfahren) gerade eben noch ein passabler erster Preis gefunden wurde, darf das wohl eher als eine glückliche Fügung gelten. Allerdings blasen die selbsternannten »Altstadtfreunde München« längst zum Angriff gegen die Wettbewerbsgewinner am Stachus und an der Prannerstraße. Vorstellungen von »kritischen Rekonstruktionen« geistern durch ihre Köpfe. Eine Landtagspetition unter der Überschrift »Rettet den Stachus!« ist längst eingereicht.
»Der deutsche Städtebau wirkt – gerade in den Innenstädten – zunehmend mutlos und muffig«, so Kaye Geipel in seinem Editorial der aktuellen Stadtbauwelt mit dem Titel »Die Europäische Stadt – eine Chimäre?«. Seine Bemerkung ist wohl auch mit Blick auf die Münchner Szene nicht ganz unberechtigt. Hier ist kaum mehr erkennbar, inwieweit geplante Nutzungen auf den zur Verfügung stehenden Bauflächen überhaupt noch hinterfragt werden oder die Belebung durch intensive Durchmischung von Wohnen, Arbeiten und Kommerz überhaupt noch als Ziel verfolgt wird. Da wird z. B. dem Wunsch der Immobilienwirtschaft nach Hotel- und Wohnnutzung im Premiumbereich alternativlos stattgegeben, in der Hoffnung, der Markt würde es schon richten. Gerade bei der Hotelerweiterung an der Hildegardstraße wäre ein eigenständiges Agieren der Verantwortlichen der Stadt angeraten gewesen. Stattdessen geben sie ihre Planungshoheit preis und damit die Verantwortung für das Gelingen der Stadt mehr und mehr aus der Hand.
Und auch die Bürgerbeteiligung muss politisch gewollt, gelebt und nicht nur vorgeschoben sein. Diese Aufgabe auch noch dem Investor anzutragen, wie im Falle der Neubauareale in der Au und Haidhausen nach Abzug der Paulanerbrauerei geschehen, erscheint besonders perfide, da dieser doch naturgemäß ausschließlich im Eigeninteresse agiert. Der Ruf nach Transparenz in städtebaulichen Planungsverfahren ist zugegebenermaßen in der Öffentlichkeit auch noch viel zu leise. Nur wenn alle über die jeweiligen Planungsparameter Bescheid wissen, wird sich am Ende das Gefühl von echter Zufriedenheit mit den politisch Agierenden und den Investoren einstellen – die bislang, aus guten Gründen, lieber unter sich bleiben.
Der Autor ist freier Architekt und Fachautor. Er lebt und arbeitet in München.
Tags
Aktuelles Heft
Titelbild db deutsche bauzeitung 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
MeistgelesenNeueste Artikel

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de