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Einfach besser oder doch nur anders?

Ein deutscher Blick aufs Schweizer Bauen
Einfach besser oder doch nur anders?

Einfach besser oder doch nur anders?
[1] Mit dem Blick der Außenstehenden: Die deutschstämmige Architekturfotografin Regine Giesecke dokumentierte die in der Schweiz völlig selbstverständliche Kultur der Schaugerüste in einer atmosphärischen Bilderserie und präsentierte diese in Einzelausstellungen in ihrer Wahlheimat Zug Foto: Regine Giesecke, Zug (CH)
Sehnsuchtsvoll schauen viele Architekten und Fachjournalisten auf die Schweizer Baukultur mit ihrer vorbildlichen Ausführungsqualität. Jürgen Tietz ist oft im Lande der hohen Ansprüche unterwegs und erklärt, was die deutsche von der Schweizer Bauwirtschaft lernen kann.

~Jürgen Tietz

Einfach besser oder doch nur anders?
Ach, ja die Schweiz! Schöne Gipfel, leckere Schokolade, bessere Häuser, oder? Und nach Kolumba mit Peter Zumthor in Köln jetzt auch noch Elphi mit Herzog und de Meuron in Hamburg. Logisch, dass Berlin sein Museum des 20. Jahrhunderts da unbedingt auch von den Schweizer Superstars haben will, selbst wenn’s auf den ersten Blick eher an ein Mega-Lidl erinnert. Aber im Ernst: Warum wandert der Blick aus Deutschland so oft begehrlich und gelegentlich neidisch auf die Schweizer Architektur? Beispielsweise im Dezemberheft der db-Redaktionslieblinge mit seinem dramatischen Nord-Süd-Gefälle: Zwei von sieben Projekten stammten aus der Schweiz, 2014 waren es gar zwei von fünf.
Was läuft anders in der Alpenrepublik, das den seit Jahrzehnten exzellenten Ruf der Schweizer Architekten begründet? Schließlich ist die Schweiz keineswegs eine Insel der baukulturellen Glückseligkeit. Auch sie steht vor vergleichbaren Herausforderungen wie ihre europäischen Nachbarn, ist enormen Verdichtungsdruck ausgesetzt und der Forderung nach bezahlbarem Wohnen. Und auch in der Schweiz gibt es jene »bösen« Investoren, die gerade noch Rendite buchstabieren können, denen der Begriff Baukultur aber schon zu lang ist.
Investition Qualität
Die Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz werden bereits beim Budget sichtbar. Geld allein macht zwar weder glücklich noch gute Häuser, es verhindert besseres Bauen aber auch nicht. Tatsächlich profitieren viele Schweizer Projekte gerade beim Wohnungsbau davon, dass nicht nur genügend Geld vorhanden ist, sondern zugleich die Bereitschaft, es zu investieren – in dem Bewusstsein, dass Qualität einen Mehrwert generiert. Nun wäre es müßig zu jammern, dass Deutschland nicht ebenfalls hinreichend finanzstark sei. Geld ist auch hierzulande im Überfluss vorhanden doch es wird selten im gleichen Maße in qualitätvolle Architektur investiert, in Materialien, in Details und v. a. gute Grundrisse. Apropos Geld: Derart explodierende Baukosten und Bauzeiten wie bei öffentlichen deutschen Prestigeprojekten wären in diesem Ausmaß in der Schweiz schwer vorstellbar – da steht der Schweizer Steuer- und Stimmbürger davor. Das führt zu einer Planungs- und Kostenehrlichkeit, die in Deutschland künftig selbst dann einzufordern ist, wenn – wie beim geplanten Museum des 20. Jahrhunderts in Berlin – Schweizer Architekten bauen.
An einem Strang
Demokratische Teilhabe spiegelt sich in der Schweiz nicht nur an der Wahlurne, sondern auch im Stadtbild, wenn anhand der dünnen Metallgestänge der Schaugerüste (schweiz.: Bauprofile) im Vorfeld jeder Baumaßnahme gezeigt wird, welche Abmessungen künftige Gebäude haben. Eine direkte Übernahme aus der Schweiz nach Deutschland ist als Beispiel gelebter Baukultur wünschenswert. Wer jetzt laut aufstöhnt, das würde nur die kreative Freiheit einschränken sowie Geld und Zeit kosten, dem sei geantwortet, ja, das kostet etwas Geld und Zeit, aber die Behauptung, dass die »kreative Freiheit« aufgrund der Bürgermeinung eingeschränkt würde, ist pure Bequemlichkeit.
Ein besseres baukulturelles Klima zeigt sich zudem in der Ernsthaftigkeit, mit der in der Schweiz um bauliche Lösungen gerungen wird. In Jurys mitzuwirken, wird dort angemessen entlohnt, benötigt aber eben auch seine Zeit. Und die leistet man sich. Qualität entsteht nicht mit Schnellschüssen. So wundert es nicht, dass die Schweizer Architekten, die sich einmal auf das Abenteuer »Bauen in Deutschland« eingelassen haben, im Gespräch betonen, dass neben der Kommunikation auch das Wettbewerbswesen in der Schweiz besser entwickelt sei als in Deutschland. Zudem sei die ausgeprägte deutsche Regelungswut im Bauwesen, die ganze Armeen von Rechtsanwälten ernährt, kaum zu überbieten. Darin spiegelt sich einer der vermeintlich »weichen« Faktoren im Unterschied zwischen den Nachbarn. Anstelle lauter Töne sind die Schweizer in ihrem kleinen Land, in dem man sich schneller als in Deutschland zweimal begegnet, traditionell stark konsens- und zugleich lösungsorientiert. Das mag den einen oder anderen gebauten Geniestreich verhindern. Es führt aber auf Dauer und in der Breite zu besseren Lösungen.
Was für die Qualität der Jurys gilt, gilt auch für Gestaltungsbeiräte. So sind etwa Beschlüsse des Züricher Baukollegiums verbindlich wie Christa Reicher, Architektin, Stadtplanerin und Hochschullehrerin, als ehemaliges Mitglied des traditionsreichen Gremiums betont: »Ohne ein positives Votum des Baukollegiums wird es keine Baugenehmigung geben.« Zugleich wird die Qualität an die ökonomische Ausnutzung eines Grundstücks gekoppelt. Für Städte wie Zürich ist das ebenso eine wichtige Rahmenbedingung wie der stets präsente soziale Aspekt, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Auf Augenhöhe
Seit die Tessiner Schule Mitte der 70er Jahre um Luigi Snozzi und Mario Botta aufblühte, liefert die Schweiz bemerkenswerte Beiträge zur europäischen wie zur internationalen Architektur. Zumal sie mit den altehrwürdigen ETHs in Zürich und Lausanne sowie der jüngeren Architektenschmiede in Mendrisio herausragende Hochschulen besitzt. Dort werden vorzügliche Architekten ausgebildet (wobei die Lehre interessanterweise bei Weitem nicht allein Schweizer leisten). Das sowohl in intellektueller wie in technologischer Sicht hohe Niveau des Diskurses prägt dabei sowohl die Laufbahnen von Schweizer Architekten als auch die ausländischer Studierender. Doch die allerbesten Architekten wären nichts ohne ebenso ausgezeichnete Handwerker – und da ist die Schweiz Deutschland um Längen voraus. An der Wertschätzung des Handwerks in der Schweiz ließe sich problemlos eine bildungspolitische Grundsatzdebatte anknüpfen. Sie würde zu einem äußerst kritischen Blick auf Pisa- und Bologna-Reformen führen, aber auch die zu niedrige Abiturientenrate im problematisch-elitären Schweizer Schulsystem nicht verschweigen, das nur handverlesene Schüler auf den höheren Bildungsweg schickt. Gleichwohl: Vom Beton bis zur Holzbearbeitung begegnen mir in der Schweiz immer wieder außerordentliche Handwerkerleistungen. Unvergesslich ein beglückendes gemeinsames Abendessen mit Patrick Thurston aus Bern und »seinen« Handwerkern. Architekt und Handwerker begegnen sich auf Augenhöhe, um eine gemeinsame Lösungen zu erarbeiten. Nur gemeinsam können Gebäude entstehen wie Thurstons preisgekröntes Bärenhaus im Berner Zoo (s. db 5/2013, S.48-53). Diese Handwerksehre geht mit einer hohen gesellschaftlichen Wertschätzung des Handwerks einher. Ihr entspricht die Architektenehre, die sich in vielen Schweizer Architekturbüros in dem unbedingten Bemühen ausdrückt, noch für das letzte Detail eine Lösung in allerhöchster Qualität zu verwirklichen. Die Präzision der Schweizer Uhrmacherkunst findet ihre Entsprechung in der Architektur, ohne an Kreativität einzubüßen. Dieses Qualitätsstreben, das mit einem Qualitätsbewusstsein auf Seite der Kunden und Bauherren einhergeht, hat tiefe Wurzeln, die bis in das 19. Jahrhundert zurückreichen, zu Gottfried Semper und Gustav Gull, um dann im 20. Jahrhundert kraftvoll der Moderne entgegenzuwachsen. Zwar waren diese Wurzeln stets den wechselnden Einflüssen und Moden ausgesetzt. Die Verbindung zu ihren Ursprüngen und Traditionen wurde jedoch nie vollständig gekappt, wie dies in Deutschland durch zwei Weltkriege zweimal geschehen ist.
Vieles, was heute in Deutschland gebaut wird, bewegt sich auf hohem Niveau, manches gar auf höchstem.
Vorbild Schweiz
Aber das Gute ist stets der ärgste Feind des Besseren. Der empathische Blick von außen auf die Schweiz mag einen anderen Fokus besitzen, als der selbstkritischere(re) von innen, schließlich hat die Schweiz – zumal beim Städtebau – durchaus Entwicklungspotenzial. Doch das eidgenössische Gesamtpaket aus selbstbewusstem Traditionsbewusstsein, Handwerklichkeit und Innovationsfreude, von gesellschaftlicher Diskursqualität und finanziellen Möglichkeiten führt jenseits der Pritzker Preisträger Herzog de Meuron und Zumthor zu einer breiten Basis an guten Architekten und besserer Architektur. Manches davon, wie Handwerksqualität und -wertschätzung wird in Deutschland nur schwer wieder zu etablieren sein. Anderes wie die Kostenehrlichkeit des öffentlichen Bauherrn im Vorfeld einer Baumaßnahme, ein weiter vertieftes und verbessertes Wettbewerbswesen oder das Nachzeichnen von Bauvorhaben durch Baugespanne als Teil einer baukulturellen Teilhabe wäre leichter umzusetzen. Man muss nur wollen.
Der Autor studierte Kunstgeschichte und arbeitet als Architekturkritiker und Buchautor in Berlin.
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