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Der Pritzker-Preis 2017 geht an das katalanische Büro RCR

Mit zeitlosem Lokalkolorit errang das Büro RCR den Pritzker-Preis
Ein katalanischer Regionalismus

Die beeindruckende Werkliste des katalanischen Büros RCR zeigt, wie Regionalismus heute aussehen sollte: Architektur ohne kurzlebige Effekte oder lautes Spektakel, typologisch auf Ort und Klima bezogen, von ungewöhnlich intensiver formaler Kraft und enormer Eindrücklichkeit, minimalistisch und dennoch skulptural, erdverbunden und poetisch.

~Klaus Englert

Ein katalanischer Regionalismus
»Wir versuchen, uns in Schwämme zu verwandeln, damit Körper und Sinne alles aufnehmen, was sich uns in der Außenwelt darbietet«, meint Rafael Aranda, einer der drei Gründer des katalanischen Büros RCR. Die Herangehensweise sei immer die gleiche, egal ob im Provinzstädtchen Olot, wo das Büro seinen Sitz hat, oder in der Metropole Barcelona. Stets versuche er zusammen mit den Partnern Carme Pigem und Ramón Vilalta, den Orten das Wesentliche zu entlocken. Dabei entstand ein minimalistischer Ansatz, der, kombiniert mit möglichst wenigen Materialien, das Entziffern einer gemeinsamen Handschrift erleichtert. Einer Handschrift, bei der keine einzige Hand federführend ist, sondern alle sechs Hände mitwirken. Das Resultat nennt Aranda Schönheit, und versteht sie als Proportion, Harmonie und Struktur. Schönheit ergebe sich aus der begrenzten Materialpalette, die sich vornehmlich auf Stahl und Glas beschränkt. Dieses Merkmal hat RCR schon früh landesweit bekannt gemacht, und eines der ersten Projekte, der unweit von Olot entstandene kleine Bade-Pavillon (2000), der seine Eleganz aus einem Flusslauf und den umstehenden Bäumen zieht, steht bis heute sinnbildlich für die Arbeitsweise des Büros. Aufsehen erregte es mit den irritierend spiegelnden Gästezimmern des Sterne-Restaurants »Les Cols« (s. db 3/2007), die teilweise mit erstaunlich simplen Lösungen und preiswerten Materialien ausgestattet wurden.
Selbst bei den unterschiedlichsten Bauaufgaben ist der RCR-Stil ablesbar. RCR liebt die weiten, lichten, offenen Räume, aber auch Wände aus Stahl, Beton und unbehauenen Steinen, die die rohe Materialität hervortreten lassen. Beispielhaft dafür steht die Casa Entremurs (2012), die RCR bis zum Dach entkernte. Eine mit den Sinnen greifbare räumliche Qualität wurde hier radikal verwirklicht.
Das von der Immobilienfirma Laietana in Auftrag gegebene Verwaltungsgebäude (2011) in L’Hospitalet de Llobregat besticht – wie viele andere RCR-Projekte – durch die klare Dominanz von Stahl und Glas. Der Masterplan für das Erweiterungsgebiet sah vor, den neuen Business District um die Plaza Europa in konzentrischen Kurven sowie in drei abfallenden Höhenstufen zu bebauen. Auch der Verwaltungsbau von RCR reiht sich in diese Linien ein. Dabei wirkt er beim ersten Hinsehen, trotz geringer Höhe, abweisend wie eine mittelalterliche Trutzburg. Aber es fällt auf, dass sich die Architekten für eine krass unterschiedene Innen-/Außenwirkung entschieden, die das Gebäude gleichermaßen als abgeschlossen und offen wahrnehmen lässt. Entgegen der abschirmenden Wirkung, hervorgerufen durch den unbekleideten Stahlmantel, betont Rafael Aranda, dass sich die Firmenmitarbeiter in dem sechsgeschossigen Gebäude »wie im Freien« fühlen. Hier haben die Architekten den Materialgegensatz Stahl/Glas vollends auf die Spitze getrieben. Tatsächlich besteht die vertikal aufragende Südfassade aus der Büroperspektive aus einer durchlaufenden Glasfront, die lediglich von den mächtigen L-Trägern, die im Kleinen als brises-soleil wirken, gegliedert wird. Der hermetische Eindruck wird zudem durch den umlaufenden Arkadengang dementiert, für den RCR das verglaste EG zurücksetzte, ebenso durch eine das Gebäude querende Passage und schließlich durch die zwischen den Stahlträgern eingeschnittenen Lichthöfe.
Was den RCR-Stil betrifft, verweist Aranda aber am liebsten auf die Projekte in der katalanischen Provinz. Nicht zuletzt in Ripoll bewies das Trio ein erstaunliches Gespür für die altstädtische Textur, ohne sich dabei dem Lokalkolorit anzudienen. Auch hier zeigt sich, dass die richtige Materialwahl immer von atmosphärischer Bedeutung ist. Sie steht für eine herbe Ästhetik, deren Ursprung in der vulkanischen Landschaft der Garrotxa zu suchen ist. Tatsächlich blieben die Drei auch in Ripoll dem Stahl treu: An der Stelle des abgerissenen La Lira-Theaters, das an den Fluss Ter grenzte, gestalteten sie einen atemberaubenden überdachten Platz (2011). Zwar verwandten sie für den Platz und den multifunktionalen Raum im UG für Überdachung und Brücke das gleiche Material, aber aus den Zwischenräumen der Wände ließen sie Efeu sprießen, der sich mittlerweile flächendeckend ausbreitet.
So wie Aranda, Pigem und Vilalta den neuen Platz vorbildlich in die altstädtische Textur einfügten, so integrierten sie die Joan Oliver Bibliothek (2007) ins dichte Sant Antoni-Viertel Barcelonas. Die Bibliothek zählt heute zu den gelungensten Eingriffen in die bestehende Eixample-Struktur von Ildefons Cerdà. Die Architekten orientierten sich an Cerdàs ursprüngliche Absicht, die Innenhöfe hinter den Wohnblöcken für öffentliche Einrichtungen zu nutzen. Nachdem eine den Hof ›
› einnehmende Fabrik abgebaut worden war, errichteten sie eine öffentliche Bibliothek, ein Seniorenzentrum und einen Kinderspielplatz, die sich allesamt zu einem harmonischen Gefüge ordnen.
Der eindrücklichste Eingriff in den Stadtraum ist die neu geschaffene Passage, die Straße, Lesesäle und den Innenraum des Ensembles miteinander verbindet. Die Architekten spielten mit einem Schaueffekt: In dem von einem Stahlgerippe strukturierten Torgebäude sind über Straßenfront und Passage die verglasten Lesesäle sichtbar. Wer die Passage durchschreitet, taucht überrascht in ein lebendiges Stadtviertel mit umgebenden Wohngebäuden ein. Hinter dem Bibliotheksquader erstrecken sich die eingeschossigen Lesesäle und ein Seniorenzentrum – beide öffnen sich zu einem Karree und umschließen eine kleine schattige Stadtoase mit spielenden Kindern, beide sind außen durch Stahllamellen verbunden, die als Sonnenschutz und Raumteiler, Geräusch- und Intimitätspuffer zwischen Innen und Außen fungieren. Das ist zu einem beliebten Gestaltungsmittel von RCR geworden. Auf dem Platz in Sant Antoni kommen Bibliotheksnutzer, Alte und Kinder zusammen, man teilt ein gemeinsames Areal und wechselt Blicke, aber letztlich verbleibt jeder in dem selbst gewählten Schutzraum. Es ist eine Welt im Kleinen, die sich in dem Hinterhof Barcelonas auftut.
Die Architekten, die ihr Büro 1988 in Olot gründeten, wagten nur wenige Ausflüge über die katalanische Grenze hinaus. Beispielsweise, als sie 2014 in Rodez das Pierre Soulages-Museum als einen diskreten, aus Stahl und Glas gestalteten Komplex aus verschieden proportionierten Quadern in die umgebende Baumlandschaft setzten (s. db 9/2014, S. 71). Mit der Verleihung des Pritzker-Preises könnte sich dieses nun rapide ändern.
Der Autor ist freier Journalist, vorwiegend für den Rundfunk tätig, Architekturkritiker und Buchautor – und ein Kenner der spanischen Architekturszene. In diesem Frühjahr erscheint sein umfangreicher Barcelona-Führer, eine Einführung in die moderne Stadtgeschichte (DOM-Publishers).

RCR Arquitectes – Rafael Aranda, Carme Pigem & Ramon Vilalta »

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